Wie kaputt machen Online-Pornos?
Haarsträubend. So umreißt Karolina Leppert die Umgangsformen ihrer Kunden. Leppert ist Domina in Berlin und empört sich. Kein Benehmen mehr, die Herren. Ungefragt duzen, frech sein und dabei immer schrägere Fetische haben. Die Freier von heute wären grob, selbstherrlich und kommen mit Bildern im Kopf, die sie sich durch Internetpornografie angeeignet hätten. Sie kommen mit Sätzen wie diesen: "Du bist eine Schlampe, du machst, was ich sag’". Die Frauen würden zunehmend zur Ware, die man als Gesamtpaket kaufen könne, O-Ton: "Wie viel kosten Sie?"
Das geht gar nicht, moniert auch Lepperts Kollegin Mariella, Sexarbeiterin aus Wien. Prostituierte seien Frauen, die eine Dienstleistung anbieten, die Männer kaufen können. Aber nicht die Frau, die sich anböte. Frauen seien keine Ware.
Porno stumpft ab
Auch wenn es sich hier um einen spezifischen Ausschnitt des Zwischenmenschlichen handelt, stellt sich die Frage: Werden die Männer durch Internetpornografie versaut? Leppert ist davon überzeugt: "Der zu frühe und zu früh verfügbare Pornogebrauch durch das Internet verfälscht den Blick für die Realität und stumpft ab." Aus wissenschaftlicher Sicht lässt sich die individuelle Wirkung von Pornokonsum auf Männer nicht verallgemeinern und hängt von der Persönlichkeit sowie der Sozialisierung ab. Zudem gilt: Die Dosis macht das Gift.
Dass exzessiver Konsum von Pornografie das Gehirn verändern kann, wiesen etwa Experten vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und von der Psychiatrie der Charité in Berlin nach. Sie konnten mit Hilfe von Magnetresonanztomografie zeigen, dass Männer mit hohem Pornokonsum einen verkleinerten Schweifkern hatten – ein Teil des Belohnungssystems im Gehirn. "Pornosucht existiert und kann ein Ausmaß annehmen, das alltagsbestimmend ist", sagt dazu Wolfgang Kostenwein, klinischer Sexologe.
Auf das Gegenüber fixiert
Die von Leppert zitierten "schlechten Männermanieren" verortet er anderswo – nämlich "im veränderten Rollenbild der Männer seit den 1970er-Jahren und einer damit in Zusammenhang stehenden veränderten Form männlicher Sexualität." Bereits früh würden männliche Kinder "weg von der eigenen Person erzogen" – um sie maximal hinwendend, sensibel und empathisch zu machen. Motto: Nur kein Macho. Mit Folgen für das eigene Selbstverständnis und die Sexualität: "Dabei geht männliche Kraft verloren. Die Männer sind dann eher beim Gegenüber als bei sich selbst", sagt Kostenwein. Die Folge: Man ist sexuell verunsichert und destabilisiert. "Das sind Menschen, die nicht bei sich sind und daher anfälliger für äußere Handlungsanleitungen, wie sie etwa in der Internetpornografie vorkommen." Eine Vermischung des gesellschaftlichen Prinzips der Gleichberechtigung mit der sexuellen Ebene.
Die eigene Lust wird durch äußere Bilder geleitet und ersetzt. Kostenwein erklärt den Unterschied: "Wenn ich eine gute Wahrnehmung meiner selbst habe, ist die Sexualität sehnsuchtsgeleitet und meins. Wenn ich weniger Einbettung habe, bekommen äußere Bilder eine besondere Macht. Und Pornografie bekommt dann einen größeren Stellenwert. Das beeinträchtigt Männer natürlich, in dem was, sie tun." Dazu kommt laut Kostenwein der allgemeine Umgang mit Sexualität in der Gesellschaft. "Die sexuelle Entwicklung in den ersten Lebensjahren wird nicht gefördert."Es geht dabei nicht darum, Kindern ein erwachsenes Bild von Sexualität aufzupfropfen, sondern um eine gute Körperwahrnehmung als Basis für eine positive spätere Lustwahrnehmung und -gestaltung.
Dass männliche Jugendliche heutzutage durch das Internet sexuell sozialisiert werden, bleibt unbestritten. Welche Bedeutung das für das spätere Leben hat, hängt jedoch von vielen Faktoren ab. "Es ist davon auszugehen, dass Pornografie erst in Kombination mit bestimmten Risikofaktoren negative Wirkungen erzeugt. Aggressive Dispositionen und Frauenhass können durch Intensivnutzung von Gewaltpornografie verstärkt werden. Hier wirkt Onlinepornografie als Katalysator, nicht jedoch als Problemursache", schrieb dazu die Medienpsychologin Nicole Döring.
KURIER: Alice Schwarzer meinte mit Kate Millett: Ein Freier kauft sich nicht nur Sex, sondern auch Macht. Hat sich an diesem Macht-Gefälle in den vergangenen Jahren etwas verändert?
Karolina Leppert: Dass ein Freier sich Macht kauft, ist ein hartnäckiges Gerücht. Woher will Alice Schwarzer das wissen? Von keiner Frau, die eigene diesbezügliche Erfahrungen hat, habe ich diese Aussage jemals gehört.
Was konkret verstehen Sie unter "schlechten Manieren"? Was ist anders oder gar schlimmer geworden?
Unter schlechten Manieren verstehe ich alle Verhaltensweisen, die wir Frauen uns nicht wünschen – wie Grenzüberschreitungen, Respektlosigkeit, vulgärer Sprachgebrauch. Der zu frühe und zu verfügbare Pornogebrauch durch das Internet verfälscht den Blick für die Realität und stumpft ab.
War es nicht immer so, dass Männer, das, was sie "bezahlten" als "Ware" betrachteten?
Es soll auch Männer geben, deren Verstand flexibel genug ist, zu verstehen, dass sie – wenn sie zum Beispiel die Dienstleistung eines Taxifahrers in Anspruch nehmen – dann das Taxi selbst nicht mitgekauft haben. Wenn sie aber schon glauben, mit der Dienstleistung die Frau als Ware sehen zu dürfen, wäre es logisch, wenn sie mit ihr besonders pfleglich umgehen.
Haben sich die sexuellen Wünsche verändert? Sind die Praktiken härter und aggressiver geworden?
Die sexuellen Wünsche und Praktiken sind anders und in der Tat härter und aggressiver geworden. Dass ein Pornofilm nicht die Realität widerspiegelt, kommt im Bewusstsein der wenigsten Männer an.
Wer genau sind diese "Männer ohne Manieren"?
Eigentlich die jüngeren Altersklassen und es hat wohl auch etwas mit Bildung zu tun.
Sind Männer, die Internetpornografie konsumieren, abgestumpfter, brauchen sie stärkere Reize?
Zweifelsohne sind Männer, die Internetpornos regelmäßig konsumieren, abgestumpfter. Das ist ein Gesamteindruck, der natürlich nicht für jeden Mann stimmt. Der Trend zur Entpersonalisierung wird durch den Konsum von Internetpornografie sicherlich auch verstärkt.
Am Ende Ihres Buchs schreiben Sie, dass Sie die Gleichberechtigung mehr denn je in Gefahr sehen ...
In der Prostitution bündelt sich die Problematik der Frauen wie in einem Brennglas. Prostitution kann einen sehr emanzipierten Hintergrund haben, ebenso aber auch die totale Unterdrückung bis hin zur Gewalt. Thema Gleichberechtigung in der Prostitution – die beiden Begriffe bringe ich nicht zusammen. Es geht um Selbstbestimmung in der Ausübung der Prostitution. Es gibt sehr viel mehr Frauen, die das selbstbestimmt ausüben. Die Gesellschaft sieht dieses Thema nicht differenziert genug. Der Staat soll die Rahmenbedingungen so gestalten, dass Frauen sich professionalisieren, ihre Arbeit nicht als unwert empfinden, und ihre Tätigkeit in Würde ausüben können.
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