Schweigsamer, aber nicht alleine

Digital aufgewachsen: Kinder, die im neuen Jahrtausend geboren sind, entwickeln ein anderes Kommunikationsverhalten als Generationen davor
Laut einer britischen Studie reden Kinder weniger und sind auf ihr Smartphone fixiert – wie das ihr Sozialleben beeinflusst.

Sich mit Freunden zum Fußballtraining verabreden, den Eltern Bescheid geben, wann der Unterricht vorbei ist – Mädchen und Buben greifen dafür nicht zum Hörer und telefonieren. Eine Studie des britischen Office of Communication zeigt, dass sie sich vor allem über SMS und soziale Netzwerke austauschen. Nur drei Prozent der Kommunikation von 12- bis 15-Jährigen findet noch über Telefonanrufe statt. Sogar eMail schreiben ist out. Daraus zu schließen, dass junge Menschen ihre Stimme verlieren und weniger kommunizieren, hält die Erfurter Kommunikationswissenschaftlerin und Medienpädagogin Iren Schulz für ein Pauschalurteil. "Kinder- und Jugendliche haben Freunde, die sie in der Schule treffen, denen sie sich anvertrauen. Sie kommunizieren nur anders – über soziale Netzwerke wie Facebook erweitern und vertiefen sie diese Beziehungen." Auch in Zeiten, in denen Beziehungen oder die Familie räumlich auseinandergehen, hilft mobile Kommunikation, um miteinander verbunden zu sein, sagt Schulz.

"Problematisch wird es, wenn das Gesimse und Gepiepse ohne Regulierung passiert." Für junge Menschen, deren Gehirne sich noch im Entwicklungszustand befinden ist das schlecht, folgert die Expertin. "Sie brauchen einen Ruhemodus und Zeit, um Dinge zu verarbeiten."

Dass es für junge Menschen schwer ist abzuschalten, hat Schulz im Zuge ihrer Doktorarbeit beobachtet. Jugendliche, die für zwei Wochen ihre Handys abgeben mussten, waren stark verunsichert. "Durch die fehlende Kommunikation hatten sie das Gefühl aus dem Beziehungsnetz herauszufallen und alleine zu sein. Es zeigt sich, dass ihre soziale Einbindung sehr fragil ist und schnell zusammenbrechen kann."

Schlaflos ohne Handy

Auf allen Kanälen ständig erreichbar sein zu müssen, bekommen sie von ihren Mitmenschen vorgelebt. "In der Öffentlichkeit, aber auch in der Familie kann man beobachten, dass Erwachsene Tag und Nacht mit ihrem Smartphone verbringen", sagt Schulz. Ähnliche Ergebnisse zeigt auch die britische Studie. Demnach nutzen die befragten Erwachsenen fast neun Stunden am Tag moderne Medien oder Kommunikationstechniken – deutlich länger als sie im Durchschnitt schlafen.

Dass sich gerade Erwachsene über die am Handy tippende Jugend empören, kann Schulz nicht nachvollziehen. Die Spielzeugindustrie bietet schon für Babys und Kleinkinder Smartphones zum Spielen. Im Volksschulalter werden die meisten von den Eltern selbst mit echten Geräten ausgestattet. "Ihr Sicherheitsbedürfnis ist groß, sie wollen ihre Kinder kontrollieren, was sie tun und wo sie sich aufhalten." Den Zugang zum Handy sollte man schrittweise zulassen. "Es muss kein iPhone mit allen Funktionen sein. Es reicht ein einfaches Wertkartenhandy ohne Apps und Internetzugang." In Großbritannien haben hingegen schon die Jüngsten Zugang zur digitalen Technik. So berichtet das "Office of Communication", dass sich Sechsjährige bereits ebenso gut mit Computer und Internet auskennen wie 45-Jährige – teils sogar besser.

Informieren und verstehen

Probieren Sie soziale Netzwerke aus, lassen Sie sich von Ihrem Kind aktuelle Lieblingsseiten, -spiele oder -apps zeigen und versuchen Sie zu verstehen, warum es diese gut findet. Infos für wenig medienaffine Eltern gibt es unter www.saferinternet.at

Regeln vereinbaren

Zwei bis drei Stunden am Smartphone pro Tag reichen für 16-Jährige, für unter Zwölfjährige eine Stunde am Tag.

Datenschutz erklären

Gehen Sie gemeinsam die Einstellungen für Privatsphäre von sozialen Netzwerken durch. Sprechen Sie auch die Risiken von Datenweitergabe an: Persönliche Daten sollte Ihr Kind nur nach Absprache weitergeben, z. B. wenn sie für Apps oder Gewinnspiele verlangt werden.

Altersgerecht surfen

Kinder unter 13 Jahren dürfen sich offiziell nicht in Online-Communities anmelden. Kinder bis zehn Jahre sollten nur kindgerechte Internetseiten benutzen, etwa www.fragfinn.de

Zur Netiquette ermutigen

Was im realen Leben erlaubt ist, ist auch im Internet erlaubt. Was im realen Leben verboten ist, ist auch im Internet verboten.

Auf Unangenehmes vorbereiten Sprechen Sie mit Ihrem Kind darüber, dass es im Internet auch Inhalte finden kann, die es ängstigen oder ekeln: Pornografie, Bilder und Schilderungen von Gewalt und Tod, Extremismus, Rassismus oder Suizid.

Chancen erkennen

Versuchen Sie Ihrem Kind klar zu machen, dass digitale Medien und Handys auch sinnvoll genutzt werden können – etwa zum Lernen.

Buchtipp: "Was macht mein Kind im Netz?" von Barbara Kettl-Römer, Linde Verlag, 9,90€

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