Zwei Welten, ein Beruf: Begegnung mit Flüchtlingen

Zwei Welten, ein Beruf: Begegnung mit Flüchtlingen
Vier Österreicher trafen vier Flüchtlinge mit ähnlichen beruflichen Erfahrungen. Sofort war die Empathie größer als die Berührungsangst.
Von Uwe Mauch

Tausende Grenzgänger aus Slowenien pro Tag. Zigtausende Flüchtlinge pro Woche, die durch Österreich weitertransportiert werden. Eine Million Asylwerber in Deutschland pro Jahr. Drei Millionen Menschen, die sich noch auf den Weg machen könnten. Große Zahlen bestimmen seit Wochen die Nachrichtenlage. Sie erzeugen Angst.

Menschen, die ihre Heimat aufgegeben haben, weil sie nicht im Krieg sterben wollten, werden dabei allzu flüchtig als anonyme Masse, als unpersönliche Zahl wahrgenommen.

Doch was passiert, wenn wir den Flüchtlingen, die in Österreich um Asyl ansuchen, einen Schritt entgegen kommen und ihnen die Hand reichen? Der KURIER hat eine kleine Begegnungszone eingerichtet: Mithilfe der Caritas und der Diakonie konnten wir vier Flüchtlinge und vier Österreicher miteinander bekannt machen: Zwei Manager, zwei Malerinnen, zwei Ärzte, zwei Lehrerinnen.

Und siehe da, trotz der sprachlichen Barrieren und trotz der kulturellen Unterschiede gab es sofort genügend Anknüpfungspunkte. Nicht zuletzt aufgrund der ähnlichen beruflichen Erfahrungen. Endlich konnten die Kriegsflüchtlinge auf Augenhöhe reden, von sich erzählen, von den Einheimischen lernen. Gleichzeitig durften die vier Österreicher Menschen wie du und ich hinter den großen Zahlen kennenlernen. Ein Anfang war damit gemacht. Berührend waren am Ende der vier Gespräche die ehrlichen Respektbekundungen. Es gab auch Umarmungen.

Der Personalchef hat
allerbeste Referenzen

Zwei Welten, ein Beruf: Begegnung mit Flüchtlingen
Für die Serie: "Refugees welcome", Wien am 09.11.2015.
Manager trifft Manager.Er war ein gut ausgebildeter, auch gut bezahlter Personalchef einer Hotelkette in Damaskus. Er hat Human Resources in Syrien studiert, dann zehn Jahre als Lehrer gearbeitet und dann zehn Jahre ein Team von 150 Mitarbeitern betreut, auch hat er 17 Flüchtlinge aus dem Irak eingestellt.

Doch dann kam der Krieg. Und die Hotelgäste blieben aus. Schweren Herzens hat sich Ibrahim Khater von seiner Frau und seinen beiden Töchtern verabschiedet, mit dem Ziel, in Österreich für die Familie um Asyl anzusuchen: „Ich war drei Monate auf der Flucht. Am Tag, als in Wien mein Asylantrag positiv erledigt wurde, kam mein Sohn in Damaskus zur Welt.“ Das war vor einem Jahr. Inzwischen ist die Familie wieder vereint. Der 35-jährige Manager arbeitet für die Diakonie als Übersetzer, wofür er de facto überqualifiziert ist. Gleichzeitig lernt er selbst mit Akribie Deutsch. „Denn ich weiß genau, dass die Sprache auch für mich der Schlüssel zum Arbeitsmarkt ist und dass mein Neustart hier kein leichter ist.“

Harald Schmid, der zwanzig Jahre Erfahrung im Personalmanagement hat und heute mit eigener Firma namhafte Unternehmen berät, nickt. Dann sagt er zu seinem Kollegen: „Sie haben viel Erfahrung im Umgang mit unterschiedlichen Menschentypen, kennen die Mentalität Ihrer Landsleute, beherrschen deren Sprache. Außerdem haben Sie einen realistischen Blick für Ihre aktuelle Situation.“

Schmid schließt daher: „Sie wären gut geeignet, um bei den Kompetenz-Check-Projekten, die das Arbeitsmarktservice derzeit für Flüchtlinge einrichtet, mitzuwirken. Sie wären auch als Flüchtlingsberater im NGO-Bereich goldrichtig. Eine dritte Option sehe ich für Sie als Lehrer in internationalen Schulen.“

Damit bekräftigt der fundierte Kenner des österreichischen Arbeitsmarkts die Ambitionen seines syrischen Berufskollegen. Dann verleiht er seiner Überzeugung Ausdruck: „Wir werden Menschen wie Herrn Khater brauchen. Dank seiner Erfahrung, Selbstreflexion und Sprachkompetenz kann er an den Schnittstellen der Kulturen vermitteln.“ Am Ende tauschen die Gentlemen ihre Visitenkarten aus. Das ist mehr als ein routinierter Akt.

Blutrote Töne im Bild
einer Gezeichneten

Zwei Welten, ein Beruf: Begegnung mit Flüchtlingen
Für die Serie: "Refugees welcome", Wien am 09.11.2015.
Künstlerin trifft Künstlerin.Sie hat ein gut gehendes Restaurant nahe Damaskus geführt, dort 25 Menschen Arbeit gegeben und neben orientalischen Speisen japanische und chinesische Küche angeboten. Nebenbei hatMaha Abdallaals Malerin für Aufsehen gesorgt.

Doch dann kam der Krieg. „Eine Granate zerstörte mein Restaurant und tötete meinen Geschäftsführer. Eine andere Granate tötete meinen Mann und meine zwölfjährige Tochter.“ Stille, Totenstille in einem einladenden Gassenlokal im Wiener Stuwerviertel. Maha erzählt so tapfer, wie sie kann, zwischendurch verzerrt sie ihr Gesicht. Schmerzen.

Sie trägt ihren linken Arm in einer Schlinge. Und entschuldigt sich: „Meine Schulter, sie schmerzt.“ Es scheint so, als könnte sich dieser Schmerz erst jetzt, da sie endlich wieder Boden unter den Füßen spürt, ausdrücken. Was ihr als Frau auf der Flucht widerfahren ist, darüber kann sie noch nicht reden. Sie kam erst Ende September in Österreich an. An der Grenze wurde sie – dem Zusammenbruch nahe – von einer Wiener Familie aufgelesen.

Die Künstlerin Babsi Daum, selbst Mutter einer Tochter, ringt zwischendurch mit ihrer Fassung. Sie hat die Malerin aus Syrien in ihr Atelier eingeladen, das sie „Kunst, Kaffee & Kipferl“ nennt und das sie gemeinsam mit Kollegen nützt. Hier arbeitet sie, erklärt sie, hier finden regelmäßig Ausstellungen statt. Auch von befreundeten Künstlern. Die aktuelle trägt übrigens nicht ganz zufällig den Titel „unterwegs“. Und dazu könnte ihr Gast einiges beitragen. Sie hat ein Bild mitgebracht, das sie nach ihrer Ankunft in Wien gemalt hat. Es ist zum Teil in blutigem Rot gehalten und muss nicht weiter erklärt werden.

Dann finden die beiden Frauen schnell gemeinsame Themen: Wie sie den Weg zur Kunst gefunden haben, wie sie beide das Kochen als eine Form der Kunst ansehen. Am Ende spricht Babsi Daum eine Einladung aus: „Maha, wenn du möchtest und wenn deine Schulter nicht mehr schmerzt, gehe ich mit dir gemeinsam in eine Ausstellung. Und ich lade dich auch gerne zur nächsten Veranstaltung bei uns ein.“ Ihr Gegenüber lächelt jetzt. Wien, sagt sie, scheint ein guter Ort zu sein.

Er lernt viel und sorgt
sich um seine Familie

Zwei Welten, ein Beruf: Begegnung mit Flüchtlingen
Mediziner trifft Mediziner.Er hat sein Medizinstudium abgeschlossen und galt in der Ärzteschaft der Hauptstadt Kabul als einer der jungen Hoffnungsträger. Nebenbei hat Mohammad Fardin Sharifi als Manager einer international tätigen Firma gearbeitet, um seine Familie ernähren zu können. Und nicht zu vergessen: „Sanitäter hab’ ich auch ausgebildet.“

Doch dann kam der Krieg. Zum wiederholten Mal in die Hauptstadt seines Heimatlandes. Und ein ambitionierter junger Vater von drei Kindern geriet unschuldig zwischen die Fronten. Auf seiner Flucht brachte er auch seine Diplome in Sicherheit. Was ihm jetzt – nach seiner Anerkennung als Flüchtling – bei der Nostrifizierung seiner bisherigen Ausbildung hilft. Er kam vor einem Jahr in Österreich an, ohne ein Wort Deutsch zu verstehen. Heute spricht er besser als mancher Einheimischer.

Michael Hüpfl, Facharzt an der Universitätsklinik für Anästhesie und allgemeine Intensivmedizin im Wiener AKH, hat den jungen Kollegen eingeladen, seinen Arbeitsplatz zu besichtigen. Er ist einer von 240 Anästhesisten, die hier arbeiten, und auch der Chef der medizinischen Simulation. Am Ende des Gesprächs sagt er anerkennend: „Menschen wie Herr Sharifi haben uns einiges voraus, unter anderem ihre Sprachkompetenz.“

Vieles geht dem anerkannten Flüchtling durch den Kopf, wenn er in der Hauptbücherei oder in der Bibliothek im AKH sitzt und abwechselnd Deutsch und Medizin lernt. Nicht nur das Gelernte. Mohammad Fardin Sharifi erzählt: „Die Stadt, in der meine Frau mit unseren drei Töchtern weiterhin auf die Ausreise wartet, wird derzeit wieder von den Taliban angegriffen.“ Sein Antrag auf Familienzusammenführung wartet auf Bearbeitung. Seine Töchter, zwei, viereinhalb und sechs Jahre alt, dürfen das Haus nicht verlassen, die Älteste kann auch nicht zur Schule gehen.

Sein Ziel ist es, so bald als möglich zu arbeiten. „Dazu muss ich aber noch eine Reihe von Ausbildungen absolvieren“, weiß der angehende Doc. Er hat ein realistisches Bild von seinem derzeitigen Status. Doch er hat auch Hoffnungen: dass er seine Frau und seine Töchter bald in den Arm nehmen kann.

Jeder Tag ohne Schule
ist ein verlorener Tag

Zwei Welten, ein Beruf: Begegnung mit Flüchtlingen
Refugees welcome, Volksschule Treustraße, Wien am 11.11.2015.
Lehrerin trifft Lehrerin.Sie sind mit einem wackeligen Schlauchboot übers Meer gefahren, erzählt der 13-jährige Bub, während seiner Mutter Tränen über ihre Wangen fließen. 65 Menschen mussten sich in dem viel zu kleinen Boot zusammenkauern. „Alle hatten Angst. Noch mehr, als wir Haie im Wasser sahen.“ Mohammed Al Dulaimi erzählt in englischer Sprache. Er sitzt heute mit seiner Mutter Suhaer Al Dulaimi zum ersten Mal in einer österreichischen Schule. Nicht als Schüler, sondern als Übersetzer. „Alle waren froh“, fügt er hinzu, dass sie das rettende Ufer der Insel Lesbos lebend, auch unverletzt erreicht haben.

Christina Maringer, eine engagierte junge Lehrerin in einer Volksschule in Wien-Brigittenau, hat die Mutter und ihren Sohn in das Lehrerzimmer gebeten. Dort lässt sie zunächst einmal ihre Gäste aus dem Irak erzählen. Und die haben doch eine ganze Menge auf ihrem Herzen: Ihre Berufskollegin hat 26 Jahre in einer Grundschule in Bagdad gearbeitet.

Doch dann kam der Krieg. Und ihre Familie flüchtete nach Jordanien. Vor zwei Monaten kam sie mit ihrem Mann und zwei von drei Söhnen in Wien an. „Ich würde gerne wieder in meinem Beruf arbeiten.“ Doch auch sie weiß, dass sie dafür die deutsche Sprache beherrschen muss: „Im Moment gibt es leider keine Kurse für mich und meine Familie.“ Immerhin nimmt sich eine freiwillige Helferin der Caritas Zeit, um ihnen ein paar Brocken der für sie fremden Sprache näherzubringen.

Was die Frau aus dem Bürgerkriegsland ebenso belastet: Dass ihr lernwilliger Sohn bis auf Weiteres vom österreichischen Schulsystem ausgeschlossen ist: „Jeden Tag fragt er mich, wann er endlich zur Schule gehen kann“, erzählt Frau Al Dulaimi ihrer österreichischen Kollegin. Die nickt, weil auch sie weiß: „Jeder Schultag ohne Schule ist für Mohammed ein verlorener Tag.“

Christina Maringer bietet in Absprache mit ihrer Direktorin und dem Bezirksschulinspektor für den 20. Bezirk an, dass sie Mutter und Sohn wieder in der Schule empfängt. „Nach einer gemeinsamen Deutschstunde dürfen die beiden als Gäste an unserem Unterricht teilhaben.“ Fortsetzung? Ist möglich.

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