Baustelle Schule

Je früher Förderung beginnt, desto effektiver, sagen Experten.
Das Bildungssystem wird umgebaut. Nicht immer so, wie es sich Schüler, Lehrer und Eltern wünschen. Welche Reformen wirklich nötig sind.

Bildungsstandards, Zentralmatura oder Neue Mittelschule: Die Schule wird dauerreformiert. Kaum scheint eine Neuerung halbwegs umgesetzt, wird schon die nächste angedacht. Derzeit steht die Schulverwaltung im Fokus der Bildungsreformkommission: Statt Landesschulräte soll es Bildungsdirektionen geben; Schulen sollen autonomer werden. So der Plan.

Und ganz nebenbei soll Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek ca. 300 Mio. Euro einsparen. Ein Schelm wer denkt, dass Schulen in Zukunft vor allem den Mangel autonom verwalten dürfen.

Doch sind die angedachten Reformen wirklich sinnvoll? Dieser Frage geht der KURIER in der Serie "Bildungsbaustellen" nach. Zum Start sagen ein Lehrer, eine Mutter, eine Schülerin (unten) und ein Wissenschaftler, wo Handlungsbedarf besteht.

Kindergarten

Bildungsforscher Stefan Hopmann vom Institut für Bildungswissenschaften an der Universität Wien muss nicht lange überlegen, wo die größten Baustellen sind: "Wir müssen mehr in den vor- und frühschulischen Bereich – Kindergarten und Beginn der Volksschule – investieren." Das sei nicht nur eine Frage der Pädagogik, sondern auch der Ökonomie: "Es ist kaufmännisch idiotisch, was wir machen: Wir geben zu wenig für diesen Bereich aus. Dabei ist frühe Förderung besonders effektiv."

Bedeutet dies, dass alle Kindergartenpädagogen Akademiker werden müssen? "Nein", sagt Hopmann "Es sollte in den Kindergärten aber mehr Möglichkeiten geben, diagnostisch zu arbeiten und Kinder gezielt zu fördern." Er verweist auf PISA-Sieger Finnland: "Dort schauen sie sich die Kleinsten genau an und fördern sie." Anders ist das in Österreich, wo bei der Lehrerbildungsreform und auch sonst zu wenig getan worden sei, um die Qualität der Elementarpädagogik zu verbessern.

Schulabbrecher

Je später man repariert, desto teurer wird es. Offensichtlich wird das oft nach Ende der Schulpflicht. Die Folge: "Zu viele junge Menschen werden es nie schaffen, ein Qualifikationsniveau zu erreichen, mit dem sie am ersten Arbeitsmarkt teilnehmen können." Heißt: Sie werden immer von der Gesellschaft alimentiert werden müssen." Bei sinkenden Geburtenraten sei das besonders dramatisch. Hopmann plädiert für eine Verlängerung der Schulpflicht bis 18 Jahre. "Das heißt nicht, Jugendliche ewig in der Hauptschule zu lassen. Es müssten gezielte Maßnahmen gesetzt werden, damit diese jungen Menschen Perspektiven haben."

Meisterprüfung

Falsche Prioritäten setze Österreich auch im Bereich der Unis und nachschulischen Bildung: "Die Fixierung auf die Akademikerquote ist fatal, denn die Stärke der österreichischen Wirtschaft liegt im Bereich der Klein- und Mittelbetriebe. Die brauchen eher Facharbeiter und FH-Ingenieure als Uniabsolventen. Das zeigt ein Blick in die Stellenausschreibungen. Zwei Drittel der gesuchten Ingenieure sind HTL-Absolventen." Absurd sei deshalb, dass die akademische Ausbildung gratis sei, während z.B. die Ausbildung zum Meister kostenpflichtig ist. "Deshalb ja zu Studiengebühren bei gleichzeitiger Einführung eines Stipendiensystems."

Kritik übt der Bildungswissenschaftler auch an der Hochschulpolitik: "Wir spielen Asterix ohne Zaubertrank. Wir lassen die Unis volllaufen, ohne dass diese in der Lage sind, adäquate Angebote zu machen. Die Folgen: Wir haben zu wenig Geld für Forschung. Und wir können Studenten aus nichtakademischen Elternhäusern nicht so gezielt fördern, wie es wünschenswert wäre."

Baustelle Schule
Gary Fuchsbauer
Josef Gary Fuchsbauer kommt von der unabhängigen Gewerkschaft Österreichische LehrerInnen Initiative (ÖLI).
Personalauswahl „Direktoren sollten nicht parteipolitisch und nicht auf Lebenszeit bestellt werden, wo gibt es denn so etwas? Viele gute junge Menschen sagen: In so einem System bewerbe ich mich gar nicht. Und manche flüchten vor den Schülern in die Administration.“
Lehrerautonomie„Wir sind akademisch ausgebildetes Personal, aber werden behandelt wie Hilfsarbeiter, denen man jeden Arbeitsschritt vormacht. Alles ist überreguliert. Das meiste wird von externen Experten vorgegeben, statt dass man mehr auf die eigenen Leute hört.“
Neue Mittelschule „Am Anfang sind die Kollegen mit viel Begeisterung hingekommen, in so ein neues Projekt wirft man sich voll hinein. Das hat viel mit Beziehung und mit Schulklima zu tun. Aber dann hat sich gezeigt, dass die Bedingungen nicht so sind wie angepriesen. Aber den Stress in der dritten und vierten Klasse Volksschule bekommt man nur weg, wenn man die Kinder nicht mit zehn Jahren aufteilt.“
Arbeitspensum„Jede Neuerung, die jetzt kommt, ist demotivierend. Weil sie mit mehr Arbeit verbunden ist oder weniger Lohn und weil immer mehr Engagement verlangt wird. Wir müssen immer mehr Zeit mit Dokumentation verbringen statt mit Unterrichten. Bei vielen Veränderungen fragt man sich: Was bringt’s Schülern?“
Baustelle Schule
Martina Höpler-Amort
Martina Höpler-Amort hat drei Kinder, war 14 Jahre im Elternvereinsvorstand und arbeitet als systemischer Coach.
Kommunikation „Die größte Baustelle ist die Kommunikation zwischen den Schulpartnern. Die Schule braucht unbedingt eine neue Gesprächskultur, die sachlich mit schulinternen Themen umgeht. So kann sie viel bewegen. Konflikte sind aber vorprogrammiert, wenn beide einander ihre Bilder um die Ohren hauen. Wie zum Beispiel: ,Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei‘ bzw. „Eltern überlassen Erziehung der Schule‘. Wichtig sind Gespräche, denn Eltern haben ein Recht auf Information, Kinder ein Recht auf guten Unterricht.“
Schulpartnerschaft „Lehrer sind Spezialisten für den Unterricht, Eltern für ihre Kinder. Nur wenn beide an einem Strang ziehen, funktioniert Schule. Maßgeblich für eine funktionierende Schulpartnerschaft ist ein Elternverein, der sich einbringt und nicht nur Geldbeschaffer ist. Wichtig ist auch eine Direktion, die sich aktiv um ein Miteinander bemüht.“
Ansprechpartner„ Kommt es zu Konflikten zwischen Lehrern und Schülern, fühlen sich Eltern oft vollkommen sich selbst überlassen. Für Pädagogen gibt es eine Gewerkschaft – und Eltern haben oft Angst, etwas zu sagen, weil sie Nachteile für ihre Kinder befürchten, sobald sie auf Missstände hinweisen. Es bräuchte eine Anlaufstelle für Eltern im Ministerium oder den Landesschulräten.“
Baustelle Schule
Annika Zwickl
Annika Zwickl, 16, besucht die HLF Krems.

Mitbestimmung „Spätestens ab der Oberstufe sollten Schüler mitentscheiden, welche Projekte an der Schule gemacht werden oder welche Wahlfächer es geben soll. Im Schulgemeinschaftsausschuss (in dem Lehrer, Eltern und Schüler sitzen, Anm.) sollte über Direktoren- und Lehrerauswahl entscheiden werden.“
Talente fördern „Statt nur auf den Schwächen herumzuhacken, sollten die Stärken der Schülerinnen und Schüler hervorgehoben werden und diese auch gefördert werden.“
Unterstützungspersonal „Lehrer kommen manchmal zu spät zum Unterricht,weil sie zuvor länger mit einem Schülern ein klärendes Gespräch geführt haben oder Verwaltungsaufgaben erledigen mussten. Das sind nicht ihre originären Aufgaben. Deshalb bräuchte es weitaus mehr Zusatzpersonal. Verwaltungspersonal und Schulpsychologen müssten an jedem Standort selbstverständlich sein.“
Rückmeldung „Nur wer weiß, was er falsch gemacht hat, kann sich verbessern. Deshalb sollte ein konstruktives Feedback selbstverständlich sein: Schüler sollten angstfrei sagen können, wie sie den Unterricht finden und wo es Verbesserungsbedarf gibt. Auf der anderen Seite haben die Schüler ein Recht auf eine Rückmeldung des Lehrers, damit sie wissen, wo und wie sie sich verbessern können. Eine einzelne Note ist kaum aussagekräftig. “

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