Analyse zur EU-Wahl: Der Fehdehandschuh gehört ins Museum

Brandstätters Blick: Die Wahl für das EU-Parlament im Mai ist mindestens so wichtig wie eine Nationalratswahl.

In unserer inszenierten Polit-Welt, wo Handbewegungen geübt werden, um vom eigenen Fotografen perfekt abgebildet zu werden, darf man schon fragen, wie dieses Foto zustande gekommen ist: Der französische Staatspräsident Francois Mitterrand und der deutsche Kanzler Helmut Kohl stehen auf einem Soldatenfriedhof in Verdun. Im Ersten Weltkrieg sind dort 700.000 Menschen gefallen, die Gebeine von 130.000 Soldaten konnten nicht identifiziert werden und wurden in einem Gebeinhaus bestattet. An dieser Stelle stand am 22. September 1984 der Franzose, der im 2. Weltkrieg selbst gekämpft hatte mit dem Deutschen, dessen älterer Bruder Walter gefallen ist. Ulrich Wickert, damals Paris-Korrespondent der ARD hat Mitterrand später gefragt, wer nach der Hand des anderen gegriffen habe. Er war es, erzählte der Präsident, er wollte „seine Einsamkeit überwinden“.

Der 1936 geborene Otmar Issing, Ex-Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, schilderte einmal in Wien, wie das Gespräch im Laufe einer Sitzung auf den 2. Weltkrieg kam. Seinem französischen Kollegen und ihm wurde schnell bewusst, dass ihre Väter zur selben Zeit an der selben Front gegeneinander kämpften – und beide nur durch Glück überlebten.

Feiern statt schießen

Und so viel Persönliches sei erlaubt: Beim Praktikum in der Kommission im Jahr 1981 in Brüssel war uns Mittzwanzigern aus ganz Europa klar, dass unsere Väter Feinde waren – und wie viel Glück wir hatten, gemeinsam arbeiten, lernen und feiern zu dürfen.

Und plötzlich wird der Fehdehandschuh geworfen. Von einem Herrn Vilimsky, dessen Lebensleistung es ist, dass er sich von einem Taser niederstrecken ließ, um zu zeigen, wie harmlos das ist. Dem ÖVP-Spitzenkandidaten Othmar Karas, dem der Fehdehandschuh gilt, kann man da nur zurufen: „Lass ihn liegen!“ Ein streitiger Dialog wäre wichtig, aber der erfordert guten Willen.

Was den Rechten und Rechtsextremen bestens gelingt, ist die Emotionalisierung statt einer Debatte, wobei negative Gefühle dominieren sollen. Wer am einigen Europa weiter bauen will, braucht Emotionen, aber positive. Da ist die Erinnerung an die schrecklich kriegerische Vergangenheit des Kontinents wichtig – indem ein Gegenmodell aufgezeigt wird. Dafür braucht die EU Institutionen, die garantieren, dass so lange verhandelt wird, bis es eine Einigung gibt – und Krieg nie eine Option sein darf.

Das braucht auch die Mobilisierung von Gefühlen: Es ist wunderbar, in einer so vielfältigen, kulturell reichen und wirtschaftlich erfolgreichen Gemeinschaft zu leben. Studenten, die im EU-Ausland lernen dürfen, kennen das ebenso, wie Leute, die in internationalen Teams tätig sind. Und weil niemals alle ständig einig sein können, sind Spielregeln notwendig, um zu Entscheidungen zu kommen. Die Entwicklung in der EU wird ja nicht von den oft gescholtenen Beamten in Brüssel behindert, sondern von den nationalen Regierungen, die zu Hause billige Punkte machen wollen.

Mehr Ehrlichkeit bitte

Gerade die nationalistischen Parteien geraten schnell in einen Konflikt, wie wir am Beispiel Südtirol sehen. Die FPÖ will dort die österreichische Staatsbürgerschaft verteilen, Salvinis Lega will das nicht. Die Lösung ist die Unionsbürgerschaft als Ergänzung zur staatlichen, aber Nationalisten wollen keine Lösungen.

ÖVP und FPÖ sollten in den kommenden Wochen bis zur EU-Wahl zu ihren großen Differenzen stehen. Das Europa von Othmar Karas, aber auch des CDU/CSU-Spitzenkandidaten Manfred Weber steht den Ideen der Rechten von Le Pen bis Vilimsky diametral gegenüber. Die Nationalisten wollen das zerstören, was schon funktioniert; die AfD das EU-Parlament, also die Demokratie in Europa, ganz abschaffen. Die Christdemokraten aber wollen die EU vertiefen.

Viele Beschlüsse der EU wirken direkt in Österreich. Also ist die EU-Wahl mindestens so wichtig wie eine nationale. Und: Wenn ÖVP und FPÖ ihr Programm – und ihre Wähler – ernst nehmen, gehören sie auf Dauer nicht in eine Regierung. Da passten der linke Mitterrand und der konservative Kohl viel besser zueinander. Ihnen ging es um Europa, auch weil sie die Vergangenheit kannten.

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