Das Leben der 24-Stunden-Pflegerinnen

Das Leben der 24-Stunden-Pflegerinnen
60.000 Frauen aus der Slowakei, Ungarn, Bulgarien und Rumänien schließen in Österreich eine Versorgungslücke.

Slavka Sučova muss sehr oft an ihre Mutter denken. "Die ist jetzt viel alleine", sagt die ausgebildete Chemie-Laborantin und wehrt sich dabei gegen die aufsteigende Emotion. "Sie weint viel, das ist ein bisserl schwierig für mich."

Das Leben der 24-Stunden-Pflegerinnen
Ein Einfamilienhaus in Gramatneusiedl, 16 Bahnminuten südlich von Wien – hier arbeitet Sučova. Als eine von rund 60.000 24-Stunden-Betreuerinnen in Österreich. Die meisten sind Frauen. Alle kommen aus dem Osten Europas, alle sind unentbehrlich. Wer sonst würde die alten Menschen rund um die Uhr betreuen?

Die Slowakin hat Glück. Ihr Kunde, Alfred Griesmüller, ist ein freundlicher Herr. Er hat früher im Lagerhaus gearbeitet, jetzt ist er auf den Rollstuhl angewiesen. Griesmüller findet sofort die angemessenen Worte: "Ich bin echt froh, dass ich die Slavka habe. Denn ich kann keinen Schritt alleine gehen."

14 Tage ist sie für ihn da. Sie hebt ihn in der Früh aus dem Bett. Kocht Kaffee, serviert das Frühstück. Liest mit ihm Zeitung. Setzt ihn aufs Klo. Wäscht ihn, wäscht die Wäsche. Bügelt. Kocht das Mittagessen. Geht einkaufen. Spielt Karten, hört Radio mit ihm, "am liebsten Helene Fischer", schaut mit ihm am Abend fern. Und bringt ihn am Ende des Tages zu Bett.

Endlich daheim!

Das Leben der 24-Stunden-Pflegerinnen
Alfred Griesmüller muss für diesen Service viel zahlen. Denn seit einer Gesetzesänderung vor acht Jahren sind fast alle 24-Stunden-Betreuerinnen in Österreich legal beschäftigt. Als selbstständige Unternehmerin mit Gewerbeberechtigung, die gegen Nachweis einer speziellen Ausbildung von der Wirtschaftskammer ausgestellt wird, erhält Slavka Sučova etwas mehr als 1000 € für ihren Dienst. Die muss sie versteuern. Dafür ist sie auch sozialversichert.

Noch zwei Tage, dann wird sie von ihrer slowakischen Kollegin abgelöst. Mit einem Sammeltaxi wird sie bis zu acht Stunden unterwegs sein. Um dann endlich – in einem kleinen Dorf unweit der Stadt Košice – ihre Mutter in die Arme nehmen zu können. Und auch ihren Mann, der von einer dreiwöchigen Montage in Bratislava heimkommen soll.

"Meine Töchter werde ich nicht sehen", erzählt die Betreuerin. Beide studieren. Weit weg vom Haus der Eltern. Auch zu Weihnachten war die Familie getrennt. Doch die 44-jährige Slowakin beklagt sich nicht. Sie ist eine von den stillen Heldinnen aus dem lange gefürchteten Osten, die Österreich de facto mehr geben als nehmen.

Die Kritik, dass gut ausgebildete Frauen wie die gelernte Chemie-Laborantin in ihrer Heimat fehlen, stimmt in ihrem Fall nur zum Teil: "Viele Firmen haben bei uns zusperren müssen, für Menschen wie mich gibt es keine Arbeit."

Das Leben der 24-Stunden-Pflegerinnen
Seit drei Jahren arbeitet Slavka Sučova in Gramatneusiedl, seit viereinhalb Jahren für eine Tochtergesellschaft des Hilfswerks. Und ja, ganz klar, in ihrer Heimat fehlt sie: Spätestens in 16 Tagen, wenn sie ihre Mutter wieder alleine lassen muss.

Am Donnerstag ist der Tag der Übergabe. Da kommt Monika aus der Slowakei, um ihre Schwester Jana abzulösen. Zwei Stunden sehen die beiden einander. Dann fährt Jana nach Hause, und Monika kümmert sich um die 79-jährige, pflegebedürftige Dame in einem kleinen Dorf, 10 Kilometer von Amstetten entfernt.

Das Leben der 24-Stunden-Pflegerinnen
Auch Roland Kern, der bei den ÖBB seit Langem den grenzüberschreitenden Verkehr propagiert, kennt die Übergabetage. Offiziell werden die Züge von Wien nach Bratislava Bratislover genannt, inoffiziell Pflegerinnen-Express. Auffallend viele Frauen mit großen Koffern pendeln damit zur Arbeit oder heim. Neben der Bahn profitieren auch private Fahrtendienste von der Legalisierung des Gewerbes 2007. Die rund 60.000 Betreuerinnen stammen aus der Slowakei, Ungarn, Bulgarien und Rumänien. Viele arbeiten Hunderte Kilometer von ihrer eigenen Familie entfernt.

Die Slowakinnen wechseln im 14-Tage-Rhythmus, Bulgarinnen und Rumänien bleiben meist 28 Tage in Österreich, was speziell bei dementen und besonders pflegebedürftigen Kunden sehr belastend ist.

Viele Frauen wären in ihrer Heimat arbeitslos. Einige teilen sich nicht einen, sondern zwei Jobs. So wie jene Krankenschwestern aus Ungarn, die in ihrer Heimat in einem Spital arbeiten und in Wien als Altenpflegerinnen.

Ihr Gehalt von etwas mehr als 1000 € brutto ist bis zu drei Mal höher als das Einkommen ihrer Männer. Dafür haben viele Heimweh. Das Internet hilft ihnen, Kontakt mit zu Hause zu halten. Salopp werden sie daher auch Skype-Mamas genannt.

Vermittelt werden sie von größeren und kleineren Agenturen. In seltenen Fällen ergeben sich Freundschaften: Monika und Jana gehen regelmäßig mit der Tochter ihrer Kundin laufen. Sie gelten als die besten Zuckerbäckerinnen im Land.

Ein erster Überblick

Große Vermittlungsagenturen wie das Hilfswerk, die Caritas, der Samariterbund oder die Volkshilfe beantworten auf ihren Internet-Seiten ebenso wie bei einem Beratungsgespräch alle offenen Fragen. Auch im Sozial- und Wirtschaftsministerium gibt es relevante Informationen.

Regionalbetreuer helfen

Für die Personaldienstleistungs Gmbh des Hilfswerks arbeiten eigene Regionalbetreuer. Sie informieren Kunden vorab, erheben die Bedürfnisse, suchen die passende Betreuung und sind auch im Konfliktfall zur Stelle.

Förderungen

Beim Antragsstellen für die 24- Stunden-Betreuung, die über das Pflegegeld hinausgeht, sollte die Agentur ebenso behilflich sein.

Zweitwohnsitz

Da die Dienstleistung an mehr als drei Tagen erbracht wird, müssen die Betreuerinnen auch bei der Gemeinde angemeldet werden.

Gütesiegel

Schon seit drei Jahren wird ein Gütesiegel für die Vermittlungs- agenturen sowie Standesregeln für das Gewerbe verhandelt. Derzeit wird eine politische Regelung bis Sommer angestrebt.

Kommentare