Alle gegen die Wiener

Alle gegen die Wiener
Die Österreicher mögen einander nicht besonders, nicht nur zur Faschingszeit

Sie geben es nicht gerne zu, aber sie haben Angst. Tiroler, Vorarlberger, Salzburger, Kärntner, Oberösterreicher, Steirer, sogar Niederösterreicher und Burgenländer sind bereit, viel zu opfern für ihre Ausbildung und berufliche Zukunft. Sogar nach Wien zu gehen. Mit einer Ausnahme: Das Autokennzeichen bleibt. Muss bleiben. Denn wer möchte schon gern daheim als langsam fahrender „Scheiß-Wiener“ beschimpft werden. Von AM wie Amstetten bis ZT wie Zwettl – Autokennzeichen sind jener Rest an Würde, den man sich am Land (= außerhalb von Wien) bewahren möchte, selbst wenn Wohnsitz und Arbeitgeber längst in Wien sind. Auch die Burgenländer haben traditionell unter Spott und Hohn zu leiden, sie gelten im Osten Österreichs als rückständig. Diesen Part übernehmen in Niederösterreich die Waldviertler, in Oberösterreich die Mühlviertler, in Tirol die Osttiroler, in Vorarlberg der Bregenzerwäldler, in der Steiermark überdecken die Aversionen gegen Kärntner alles andere. Die einzigen, die scheinbar mit allen gut können, sind die Salzburger. Ein fast schon besorgniserregender Zustand, gibt es etwa einen Ort in Österreich, an dem es keine liebevoll gepflegten Feindschaften gibt? Iwo. Die Haider-Ära in Kärnten hat auch hier Ressentiments sprießen lassen.

Die Österreicher mögen einander nicht besonders. So klein kann ein Land gar nicht sein, dass man einander immer grün wäre. „Trau, schau, wem, nur kan Tiroler und kan Behm“, zitiert der Wiener Soziologe Roland Girtler ein altes Wiener Vorurteil. „Die Böhmen und die Tiroler, das waren im alten Wien die Falschen, vielleicht wurden tatsächlich ein paar negative Erfahrungen gemacht, die dann verallgemeinert wurden.“ Aber das, sagt Girtler, mache den Menschen eben auch aus, selbst ein Sandler mache sich lustig über Leute, von denen er meint, sie stünden unter ihm, Ausländer beispielsweise. Prostituierte bezeichnen ihre Freier nur gegenüber Dritten als „Herren“, die wirkliche Bezeichnung lautet „Gogel“. Girtler fasst zusammen: „Wir grenzen uns von den anderen ab, orientieren uns an den Besseren. Jeder will nobel erscheinen.“

Der Mensch als „animal ambitiosum“, als ambitioniertes Wesen, das nach oben will und sich nach unten abgrenzt? Villach, bis vor Kurzem größte Nicht-Landeshauptstadt Österreichs (bis sie von Wels abgelöst wurde) und der wichtigste Kärntner Verkehrsknoten, ist selbstbewusst. Die Konkurrenz zu Klagenfurt ist allerdings nicht tiefgehend, sondern scherzhaft. Der Villacher Fasching besteht seit 55 Jahren, das „Klagenfurter Stadtgerücht“, quasi die Gegenveranstaltung, seit 50 Jahren.

Einzig die Ablehnung der als arrogant empfundenen (aber als zahlende Gäste geschätzten) Wiener geht tiefer. „Es gibt eine Gruppe von Österreichern, die alle anderen kritisch sehen, die Wiener“, sagt der Grazer Soziologe Max Haller. Besonders ausgeprägt sei das in Tirol und in der Steiermark. Erklärung: Beide Länder schauen auf eine lange eigenständige Geschichte zurück, waren Herzogtümer und später Universitätsstädte, „die Vorurteile wurzeln in einem starken Regionalbewusstsein“. Konfrontiert mit Hassparolen gegen Wien, stellt der Ur-Wiener Girtler folgende Fangfrage: Wie heißt die größte Stadt von „X“ (ihr Bundesland einsetzen)?

Alle gegen die Wiener

Den Ruf der Rapid-Fans „Ziagst den Linzern die Lederhosen aus!“, hat man schon länger nicht mehr auf Fußball-Plätzen gehört. Kein Wunder: LASK, einer der großen oberösterreichischen Traditionsvereine, spielt nur noch drittklassig, es lohnt also nicht mehr zu hussen.

Aber es geht auch ohne Fußball. In Niederösterreich werden Autofahrer mit dem Hollabrunner Kennzeichen HL mitunter als Hirnloser tituliert, während HO (Horn) als Hornochse und SB (Scheibbs) zu Saubauer umgedeutet wird. Im Mühlviertel haben die benachbarten Waldviertler mit Zwettler Kennzeichen einen Spitznamen:die Raser.

Das Bundesland, über das ganz Österreich lacht, führt zumindest sprachlich die feinere Klinge: Die Zemendorfer sind auch als Mondscheinige (Mondsüchtige; angeblich, weil sie bei Vollmond Kirschen pflücken) bekannt, das benachbarte Stöttera hat den Stötterer Poscha, einen Volkstanz, nach dem die Bewohner benannt werden.

Selbst wenn Mattersburg (Mattersdorf) nur eine Bezirkshauptstadt im Burgenland ist, gilt das gleiche ungeschriebene Gesetz wie überall auf der Welt. Die Hauptstädter mag man nicht – im Fall von Mattersburg, weil sie Schorscheln oder Schurln sind, also unbeholfene Gesellen. Geflügeltes Wort: „Stell’ dich nicht an wie ein Mattersdorfer.“

Die innerösterreichischen Feindschaften sind die Regel und nicht die Ausnahme. In Deutschland ist Berlin die unbeliebteste Gegend, wobei einander auch Ost- und Westberliner nicht grün sind. Gegensätze ziehen sich auch in Deutschland nicht an, Berliner und Bayern sind quasi spinnefeind. Braunschweiger mögen keine Hannoveraner, Saarländer ihre Landsleute aus der Pfalz genauso wenig wie Düsseldorfer und Kölner. Regeln gibt es keine, es hasst sich auch, wer sich sehr ähnlich ist.

Das war schon immer so. Der Name der Sioux-Indianer bedeutet „kleine gelbe Schlangen“. Den Namen werden sie kaum selbst gewählt haben. Das Wort Apache bedeutet „Feind der Pueblo-Indianer“. Naturvölker nennen sich selbst meist nur „Menschen“, seien es die Inuit oder die Khoi Khoi (wörtlich: Menschen der Menschen, auch Hottentotten).

Das indische Kastensystem überlagert die gegenseitigen Ressentiments der Volksgruppen noch. Die Angehörigen der obersten Kaste sind auch stolz auf ihre Stellung, erläutert der Soziologe Roland Girtler. „Jede dieser Gruppen unterscheidet sich von der anderen durch Symbole, durch bestimmte Wörter, durch Sprache. Das ist etwas zutiefst Menschliches und Blödes, das bis zur Vernichtung der anderen Gruppe führen kann“, sagt der Wissenschaftler.

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