Schlaglichter einer Zeitenwende
Ob die Zweite Republik faktisch bereits zu Ende gegangen ist bzw. wenn ja, wann – darüber wurde in politaffinen Kreisen bereits viel debattiert. Wobei für die einen eine bereits angebrochene oder sich anbahnende „Dritte Republik“ etwas durchaus Erstrebenswertes sein mag, während andere vor einem Bruch mit Überkommenem warnen.
Der Journalist Georg Renner sieht das Ende der Zweiten Republik mit diesem Wahljahr gekommen und beschreibt in einem Buch deren „letzte Jahre“. Diese Phase beginnt für ihn mit der Bildung der letzten Großen Koalition unter Werner Faymann und Michael Spindelegger 2013, die schließlich noch mit wechselnden Protagonisten – Christian Kern, Reinhold Mitterlehner – bis 2017 fortgeführt werden sollte.
Spannende Relecture
In der Einschätzung dieser Entwicklungen zählt Renner jedenfalls nicht zu den Kassandras: „Anders als manche Kollegen halte ich das Ende der Zweiten Republik nicht zwingend für etwas Schlechtes“, schreibt der Autor.
Renner versucht einen Bogen über das letzte Dezennium zu schlagen und sein Gesamtbild anhand einiger Großthemen zu zeichnen: neben dem Abschied von der „GroKo“ sind das die Migrationskrise, die „endlose“ Hofburgwahl 2016, Türkis-Blau, die Bierlein-Regierung, die Pandemie und Türkis-Grün.
Das Buch ist hervorragend geschrieben, spannend zu lesen und zeichnet sich durch detaillierte Kenntnis der geschilderten Vorgänge aus: Auch für den politisch Interessierten eine aufschlussreiche Relecture.
Inhaltlich positioniert sich der langjährige Innenpolitik-Journalist zurückhaltend, aber im Zweifel doch am Mainstream orientiert. Insbesondere wo es um Sebastian Kurz und die „türkise“ ÖVP geht, kann sich auch Renner nicht dem branchenüblichen Spin (bestenfalls) milder Häme entziehen. Umgekehrt wird etwa die Rolle von Bundespräsident Alexander Van der Bellen rund um „Ibiza“ äußerst wohlwollend beschrieben; kein Wort davon, dass das Staatsoberhaupt damals und zu Zeiten von Türkis-Grün durchaus erkennbar eine politische Agenda verfolgte, was unter anderem sich darin manifestierte, wann sich VdB besorgt zu Wort meldete und wann nicht.
Plädoyer für Fairness
Ein wenig platt wirken gelegentlich auch die ans Ende jedes Kapitels gestellten Lehren aus den beschriebenen Ereignissen: „Wenn sich eine Koalition auf eine Reform einigt, sollte sie sicherstellen, dass alle Beteiligten mit an Bord sind …“ – Ja, eh.
Was indes für den Autor einnimmt, ist sein implizites Plädoyer für Fairness in der Beurteilung der politisch Verantwortlichen: Wenn sich nicht einmal im Rückblick, mit dem Wissen um die weiteren Entwicklungen alles klar und eindeutig darstelle, „spricht das Bände darüber, wie wenig man eigentlich weiß, wenn man mitten in einer Krise vor einer Entscheidung steht“.
Richtig ist freilich auch: Kaum je werden aus solchen Krisen im Nachhinein Lehren gezogen. Der Wunsch des Autors, die Republik möge sich für die kommenden Herausforderungen – „die nächste Krise kommt bestimmt“ – rüsten, bleibt wohl ein frommer.
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