Zum 125. Geburtstag: Joseph Roth, ungekürzt

Zum 125. Geburtstag: Joseph Roth, ungekürzt
"Die Rebellion" erscheint zum Jubiläum zum ersten Mal so, wie der Roman 1924 geschrieben wurde.

Joseph Roth schrieb:
„Was blieb überhaupt noch es selbst? Das Vaterland? Wem gehörte es? Demjenigen, der die Kurbel des Leierkastens drehte? Oder Willi, der die Würste stahl? Oder dem Krämer, dem sie gehörten? Dem Richter im Talar? Dem Aufseher, der die Gefangenen spazieren führte?“
So sollte es, voller Verzweiflung über die Armut in der Zwischenkriegszeit, in seinem frühen Roman „Die Rebellion“ stehen: erstmals erschienen 1924 als Abdruck in vorwärts, der Zeitung der deutschen Sozialdemokratie.
Aber die Passage fehlte. später auch im Buch. Sie fiel vermutlich der Zensur zum Opfer. So manches fehlt in Roths Büchern  oder wurde durch Schludrigkeiten verändert. Deshalb kann man bei ihm finden, dass er sich mit der „Farbe von Elfen“ beschäftigte. Hat er aber nicht, er schrieb über die Farbe von „Eseln“.
Die Internationale Joseph Roth Gesellschaft mit Sitz in der Wiener Neustiftgasse bemüht sich deshalb seit Jahren um eine Neuausgabe des Gesamtwerks, die exakt den handschriftlichen Manuskripten folgt. Sie werden im Literaturarchiv Marbach aufbewahrt.
Roth wurde vor 125 Jahren in Brody geboren, einer kleinen Stadt am galizischen Zipfel der Monarchie (heute Ukraine). Im „Radetzkymarsch“ und „Das falsche Gewicht“ kommt Brody vor.
Vor wenigen Tagen wurde vor seiner einstigen Schule eine Bronzebüste enthüllt (Foto oben). Nach Jahrzehnten des Vergessens soll er plötzlich  österreichische, jüdische und ukrainische Kultur verbinden.

Erwacht

Ebenfalls zum Jubiläum erschien im Göttinger Wallstein Verlag „Die Rebellion“ erstmals so, wie es auf den 74 Blättern teils mit Tinte, teils mit Blei geschrieben steht.
Sogar die eigenwilligen Satzzeichen übernimmt der abgedruckte Text; sowie den Wechsel zwischen „gleichgiltig“ und „gleichgültig“, zwischen  „sämmtliche“ und „sämtliche“ usw.
Joseph Roth arbeitete viel und schnell und beabsichtigte keineswegs, Deutschlehrern eine Freude zu bereiten.
„Die Rebellion“: Andreas Pum hat im Krieg ein Bein verloren, aber – noch – ist er gottgläubig und vertraut der Regierung. Immerhin bekam er einen Orden, ein Kriegsheld ist er, man wird bestimmt für ihn sorgen. Man wird ihm zu einer Prothese verhelfen und zu einem guten Job. Denkt er.
Ihm geschieht Unrecht – ähnlich wie  es 20 Jahre vorher in der Erzählung von Anatole France dem kleinen Gemüsehändler Crainquebille geschehen ist –, Pum erwacht aus der Demut, er endet im Café „Halali“, wo er das Klo putzen darf. Vor dem himmlischen Gericht rebelliert er:  Wenn wir schon leiden müssen, wieso leiden wir nicht alle gleich? „Ich will deine Gnade nicht!“, ruft er Gott zu. „Schick mich in die Hölle!“
Gott lächelt nur.

 

Joseph Roth:
„Die Rebellion“
Editiert und mit einem Nachwort herausgegeben von Ralph Schock.
Wallstein Verlag.
280 Seiten.
24,70 Euro.

KURIER-Wertung: ****

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