Dirigent Haselböck: Beethovens Musik wird heute verflacht
Reicht es, Geigen mit Darmsaiten und Pauken mit Ziegenfellen zu bespannen oder Naturhörner einzusetzen, also alte Instrumente zu spielen, um den wirklichen Klang der „Eroica“ erlebbar zu machen?
Manche Vertreter der Originalklangbewegung mögen sich mit schlichten Lösungen begnügen. Nicht aber Martin Haselböck.
Vor fünf Jahren hat er „Resound Beethoven“ ins Leben gerufen. Dieses Projekt führte ihn und sein Orchester, die Wiener Akademie, an die „Originalschauplätze“, vom Palais Lobkowitz bis ans Theater in Josefstadt, wo Beethoven selbst seine Werke aufgeführt hat.
Martin Haselböck ist bekanntlich nicht nur Dirigent und Musikforscher, sondern einer der führenden Organisten. „Wir sind permanent durch unsere Instrumente mit der Historie verbunden. Man setzt sich an eine Orgel und weiß, dass auf diese Tasten schon Bach seine Finger gelegt hat. Oder, dass an jener bereits César Franck musizierte“, sagt er. Das Faszinierende aber sei nicht allein die Aura. „Wenn ich einmal auf einer Bach-Orgel gespielt habe, kann ich zur einer modernen wechseln. Dann weiß ich, wie ich die Farben mische, damit es so klingt wie auf der alten Orgel. Das ist auch beim Orchester so“, sagt Haselböck. Für sein Bestreben, mehr über jedes Werk durch die historischen Rahmenbedingungen zu erfahren, war ihm der Band „Beethovens Konzerträume“ von Stefan Weinzierl ein idealer Begleiter.
Die Neuvermessung des Klangraums
Der Musikwissenschaftler und Akustiker weist darin nach, dass man nachmessen kann, wie sich der jeweilige Ort, an dem dieser Komponist seine Werke aufgeführt hat, auf die Aufführungspraxis ausgewirkt hat.
Denn damals, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, gab es noch keinen Musikverein. Konzerte, die Beethoven oft selbst organisierte, musste er in Theatersälen oder in privaten Palais stattfinden lassen. Die Gegebenheiten waren oft verschieden. Die trockene Akustik in den Theatersälen forderte eine andere Besetzung als etwa der Hall im Redoutensaal.
Wie sich das auf die Interpretation eines Werks auswirkt, beschloss Haselböck mit seiner Wiener Akademie zu erforschen.
Am Schauplatz
Das aber begreife man erst so richtig, wenn man an diesen Originalschauplätzen selbst musiziert hat. So geschah es im Saal der Akademie der Wissenschaften. Dort stellte er ein historisches Wiener Großereignis nach: Das war am 8. Dezember 1813. Fünf Jahre waren vergangen, seit Beethoven seine letzte Symphonie vorgestellt hatte. Eine Karte für das Benefizkonzert, das er zugunsten der österreichischen und bayrischen Invaliden der Schlacht bei Hanau gab, würde man heute als „hottest ticket in town“ nennen.
Auf dem Programm stand ein Werk, das sofort zum Hit wurde: „Wellingstons Sieg“. Für das musikalische Schlachtengemälde der Sonderklasse nahmen sogar namhafte Musiker wie Luis Spohr oder Ignaz Schuppanzigh unter den Streichern Platz. Johann Nepomuk Hummel und Giacomo Meyerbeer besorgten die Kanonengeräusche, Antonio Salieri besetzte die Trommel.
Zuvor aber kam Beethovens Siebente zur Uraufführung. Schon nach dem zweiten Satz geriet das Publikum in Euphorie und forderte dessen Wiederholung.
Musikalischer Androide
Beethoven hatte für diesen Event auch noch etwas vorbereitet: einen der ersten musikalischen Androiden. Er ließ einen automatischen Trompeter von Johann Nepomuk Mälzel aufspielen. Eine Nachkonstruktion dieses Automaten war auch bei Haselböck zu hören. Die Klangeindrücke der Konzerte haben seine Interpretationen der Beethoven’schen Musik entscheidend geprägt. Diese kann er nun auch modernen Orchestern vermitteln, erklärt er.
Das Revolutionäre, das Explosive, das typisch für die Musik dieses Komponisten war, sei heute jedoch verflacht, sagt Haselböck.
Das aber nicht nur aufgrund der anderen Instrumentierung oder der größeren Säle. Zum einen gab es nach Beethovens Tod 1827 zwei Trends bei der Interpretation seiner Werke. Felix Mendelssohn Bartholdy vertrat eine rasante Lesart, die sich streng an die Metronomzahlen des Komponisten hielt. Franz Liszt und Richard Wagner setzten auf einen ruhigeren, schwereren Stil. Diese beiden Stile gingen auch auf die verschiedenen Aufführungsarten zurück. Neben jenen in kleineren Sälen etablierten sich die Musikfeste. Bei einem solchen spielten 200 Musiker in Aachen im Jahr 1819 die dritte Aufführung der „Neunten“.
Wie kommt es aber, dass man Weinzierl zufolge heute für bestimmte Werke 400 Geiger bräuchte, um Beethoven im Goldenen Saal des Musikvereins mit derselben Intensität und Lautstärke wie in den Originalsälen zu spielen? Und dann auch noch mit Stahl- und nicht mit Darmsaiten?
Dass Darmsaiten leiser sind als ihre Nachfolger aus Metall sei ein Irrtum, erklärt Haselböck. „Diese haben nur ein anderes Klangspektrum.“ Die Lautstärke aber bedingt der Raum. Im Musikverein ist eine Geige 2,8 Mal lauter, als wenn man sie draußen spielt. Im Eroica-Saal, sogar 4,8 Mal lauter, erklärt Haselböck.
Lauter!
Noch etwas gilt es zu klären: Stimmt es, dass Beethoven am liebsten für einen modernen Bösendorfer oder Steinway komponiert hätte, auch weil sie lauter waren? „Auch das ist ein Irrtum. Für einen Steinway hätte er ganz anders komponiert. Aber er wusste, was er hören will. Und er liebte seine Wiener Klaviere. Die Klavierbauer haben auf seine Musik reagiert und für Beethoven anders gebaut. Für jedes seiner Klaviere hat er ein eigenes Stück geschrieben“, sagt Haselböck. Die Instrumente waren an die Säle angepasst. Den Bösendorfer im Palais Lobkowitz könne man nur mit geschlossenem Deckel spielen, erklärt er. Ein Klavier aus Beethovens Zeiten ist bei den nächsten Konzerten der „Resound“-Reihe zu hören: Ronald Brautigam und Melvyn Tan sind Solisten der Klavierkonzerte 2 bis 5. (15. bis 25.2. im Palais Niederösterreich in Wien). Die Authentizität der Interpretation sei nicht an die Originalschauplätze gebunden, sagt Haselböck. „Resound“ habe ihm ein anderes Bild von Beethoven vermittelt: Zuvor war er für ihn der „Monolith auf dem Felsen“, an den Originalschauplätzen aber habe er die unfassbare Intensität dieser Musik erlebt.
Die prägt seine Interpretationen
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