Zerbeulte Seelen unter dem roten Mond

Zerbeulte Seelen unter dem roten Mond
"Woyzeck & TheTiger Lillies" lässt in menschliche Abgründe blicken - mit einem Schuss bitterer Komik. Und schönen Songs voller Sehnsucht und Schmerz.

Wie "ein offenes Rasiermesser läuft er durch die Welt". "Wozzeck" von Alban Berg ist bekanntlich ein Opern-Klassiker. "Woyzeck", Robert Wilson und Tom Waits ergaben vor einigen Jahren einen publikumswirksamen Dreiklang. Direkt, erschütternd, berührend ist auch "Woyzeck & The Tiger Lillies" (bis 15. 10.) im MuseumsQuartier.

Opfer und Täter

Es geht es um das besiegelte Schicksal des kleinen Mannes, der geschundenen Kreatur: Chancenlos, ausgeliefert ist der Soldat den Mächtigen, Versuchsperson für die Erbsendiät - als Prolet Inbegriff des um sein Weib und damit um alles betrogenen armen Tropfs. "Jeder Mensch ist ein Abgrund; es schwindelt einem, wenn man hinabsieht", sagt die Hauptfigur.

Georg Büchners todtrauriges Theaterfragment von 1837 und der Soundtrack der britischen Band The Tiger Lillies mit punktuell gesetzten Disharmonien und bitterem Sarkasmus in den Song-Texten passen kongenial zusammen. Die Tuba trötet, eine Säge singt, das Akkordeon orgelt eine Wehmutsmelodie. Es rumpelt, pumpelt, und poltert. "It's Just A Gypsy Boy". Martyn Jacques singt von Liebe und Lust, Hass und Sünde. Er nimmt gern, wie einst Kurt Weill, eine schöne Melodie, um Schreckliches zu erzählen.

Star-Besetzung

Zerbeulte Seelen unter dem roten Mond

Im Reigen aus Büchners Text und musikalischer Einlage - Regie: Stephanie Mohr - ist die brutale Realität dem Wahnsinn und den Obsessionen gegenübergestellt. Und die Musik - auch die von Christian Kolonovits für die Kapelle "Die Brassisten" - ist dazu da, zu emotionalisieren.

Inmitten von Imbissbuden und Wohnwagen, einem letzten Rest von Jahrmarktsschau, verdichten sich Sexualität und Eifersucht, Wut und Ohnmacht, soziale Ungerechtigkeit und bürgerliche Selbstherrlichkeit zum tödlichen Gemisch. Das geht unter die Haut. Durch die Intensität der Schauspieler.

Raphael von Bargen spielt den Soldaten am Rande des Nervenzusammenbruchs: von allen ausgebeutet, gedemütigt und bloßgestellt. Die zur Schau gestellte Sinnlichkeit von Ruth Brauer-Kvam als Marie und junge Mutter - "schön wie die Sünde" - verstellt nur kurz den Blick auf eine weitere zerbeulte Seele.

Mord aus Verzweiflung

Ben Becker ( siehe auch "Frühstück mit Ben Becker" in "mein sonntag") als Hauptmann ist ein weltfremder, egozentrischer Spinner, brutal oder jovial: "Woyzeck, es schaudert mich, wenn ich denk', dass sich die Welt in einem Tag herumdreht."

Joachim Bißmeier als dämonischer Doktor: grandios skurril, mehr empfindungslose Maschine als Mensch.

"Woyzeck" thematisiert Abgründe beim Menschen, aber vor allem in einer Gesellschaft. Deshalb gibt es im Stück kein Mitleid. Keine Trauer. Nur Wut und Hilflosigkeit in einer Gesellschaft, in der man nicht mehr leben möchte und doch muss.

Ermordet dieser dressierte Mann seine Marie nur aus Eifersucht? Oder ist die Bluttat ein verzweifelter Versuch, den moralheuchelnden Bürgern klarzumachen, dass sie sich immer nur auf Kosten anderer tugendhaft fühlen? Mord ist hier das Produkt der Gewalt, die ihm selbst angetan wird. Und Büchner sehr heutig, wenn er sagte: "Selbst das Geld geht in Verwesung über."

KURIER-Wertung: ****
von *****

Fazit: Mord als das Produkt der Gewalt

Stück: Georg Büchners Dramenfragment und die Verlorenheitsmusik der Tiger Lillies passen großartig zusammen.

Inszenierung: Stephanie Mohr stellt Realität und Imaginität im Reigen zwischen Story und Musikeinlagen gegenüber.
Bittere Komik am tiefen Abgrund ist ein wichtiger Akzent.

Eindruck: Ein schönes Kontrastprogramm zu den Spaßmusicals der Vereinigten Bühnen Wien. Mit einer Starbesetzung, die hält, was sie verspricht.

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