Zeitzeuge George Newman (1924–2020) verstorben

Zeitzeuge George Newman (1924–2020) verstorben
Der Musikverleger, 1938 aus Wien geflüchtet, schrieb in der Nachkriegszeit auch für den KURIER

Wieder ist die Reihe jener, die aus erster Hand über das Schicksal der jüdischen Bevölkerung Wiens zur NS-Zeit erzählen können, um eine Stimme ärmer geworden: Der Musikverleger George Newman, am 18. 1. 1924 als Hans Neumann in Wien geboren, ist 96-jährig in Wimbledon gestorben. Das teilte seine Tochter Helena, Europa-Chefin des Auktionshauses Sotheby’s, mit.

2013 hatte sie ihren Vater erstmals auf einer Reise nach Wien begleitet: Anrührend erzählte der Senior dem KURIER damals vom „Anschluss“ – seine Erinnerung an die jubelnden Menschen, die am Währinger Haus der Neumanns vorbeimarschierten und den Bewohnern „Euch werden wir’s zeigen“ zuriefen, schien so frisch wie 75 Jahre zuvor.

Neumann emigrierte noch im März 1938 nach London, wo er sich als Musikverleger einen Namen machte. Er schrieb als Korrespondent auch Musikkritiken für den KURIER (damals noch „Wiener KURIER“) und spielte privat Viola: „Er verkörperte die liberale, säkulare jüdische Kultur, die die Nazis zu vernichten suchten“, sagt Helena Newman. Seine Lebenserinnerungen hielt Newman in dem Buch "Finding Harmony - A Family's Journey across Europe and Beyond" (2013) fest.

Zeitzeuge George Newman (1924–2020) verstorben

Dass es George Newman sehr freute, wie seine Tochter als Kunstexpertin reüssierte, konnte der Autor dieses Artikels im Juni 2016 in London aus erster Hand miterleben: Helena Newman, die als Chefexpertin für "Impressionismus und Moderne" zuvor auch schon mehrere spektakuläre Auktionen, u. a. von Werken Gustav Klimts und Egon Schieles, in die Wege geleitet hatte, stand damals erstmals bei der großen Abendauktion von Sotheby's London selbst am Pult und nahm die Gebote entgegen - als erste Frau in der Geschichte des Unternehmens durfte sie eine solche Abendauktion leiten. George Newman saß in der ersten Reihe des Auktionssaals.

George Newmans Vater, der Anwalt Paul Neumann, war an der Gründung des Paul Zsolnay Verlags beteiligt gewesen. So kamen u. a. Widmungsexemplare von Franz Werfel und Robert Musil in Newmans Besitz. Dass die Österreichische Nationalbibliothek diese 2013 erwarb und nun bewahrt, machte Newman stolz. Er kam 2018 noch einmal nach Wien, um Schülern seine Geschichte zu erzählen. Laut seiner Tochter sprach er bis zuletzt noch von einem weiteren Besuch. 

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