Zechner über die Neidgesellschaft Österreich

Zechner über die Neidgesellschaft Österreich
Kathrin Zechner spricht im KURIER über Prinzipien und Interventionen, über Kinder, Nestwärme und ihr Verhältnis zu Ex-Partner Erwin Steinhauer.

Coole Chefbüros haben andere. Das Zimmer von Kathrin Zechner strahlt Wärme aus, sogar wenn es draußen minus 15 Grad hat. Der gelbe Schreibtischsessel, die gelbe Couch, das gelbe Bild spiegeln das "sonnige Naturell" wider, von dem die neue Fernsehdirektorin in früheren Interviews oft erzählt hat. "Ich habe eingebaute Solarzellen", sagt sie gern.

Ein paar Kinderzeichnungen, Fotos ihrer beiden Söhne und ein von Kinderhand bemaltes Häferl auf dem Schreibtisch runden den Raum ab, beinahe gemütlich ist es hier. Dabei kann von Gemütlichkeit keine Rede sein: Termine und Besprechungen im Halbstundentakt. Ein neues Programmschema mit umfassenden Reformen soll Ende des Jahres stehen.
Zu diesem Thema hat sie am Dienstag unter großem Medienandrang ihre erste Pressekonferenz gegeben. Im KURIER-Interview spricht sie auch über Persönliches. Was für ein Mensch ist die neue mächtige Frau im ORF?

Zechner über die Neidgesellschaft Österreich

KURIER: Wie lautet die korrekte Anrede für Sie?
Kathrin Zechner: "Frau Direktorin" – haben wir uns geeinigt.

Frau Direktorin, Sie haben diese Woche Ihre Antrittspressekonferenz gegeben und einen Zeitplan für die Programmreform präsentiert. Konkrete Sendungen waren nicht Thema. Manchen Journalisten war das zu wenig, auf Twitter wurde geätzt, Sie hätten nichts gesagt. Was erwidern Sie?
Ich arbeite vernunft- und nicht zurufgetrieben. Daran werden flankierende Kommentare nichts ändern. Ich lasse mich, soweit es möglich ist, von Feuerwerken links und rechts der Straße nicht ablenken.

Sie sagen, Sie reformieren "step by step", damit werden Sie möglicherweise nicht als "größte Programmreformerin aller Zeiten" in die ORF-Geschichte eingehen, denn es gab schon paukenschlagartige Programmreformen im ORF. Legen Sie als Frau weniger Wert auf den kurzen Medienhype?
Ich glaube nicht, dass das etwas spezifisch Weibliches ist, sondern einfach eine persönliche Art der Führung und des Jobverständnisses. Es steht jedem frei, vor allem mit einiger Erfahrung am Rücken, seinen eigenen Stil zu haben.

Sie waren nach Ihrer Pressekonferenz in allen Medien, nur in den ORF-Nachrichtensendungen sah man Sie nicht. Bleiben ZiB-2-Auftritte, wie man sie von Alexander Wrabetz kennt, dem Generaldirektor vorbehalten?
Es muss jeder für sich entscheiden, welche Kommunikationswege er sucht. Ich konzentriere mich ausschließlich aufs Programm, das ist, wie Sie sich vorstellen können, viel.

Sie leiten neun Hauptabteilungen. Haben Sie angesichts der Größe dieser Aufgabe gezögert, sich zu bewerben?
Ich hab natürlich überlegt, ob das in meinen Lebensplan und zu meiner Lebensqualität passt. Die Abwägung gemeinsam mit meiner Familie hat ergeben, dass ich eine leidenschaftliche Programmmacherin bin, und dass es der richtige Zeitpunkt ist, die Herausforderung anzunehmen.

Sie sagen: "Abwägung mit meiner Familie" – wer darf mitreden?
Die engste Familie, das sind die Kinder, das sind meine Eltern, das ist mein Bruder.

Wie haben Sie Ihren Söhnen kindgerecht erklärt, welchen Mega-Job Sie da annehmen?
Meine Söhne sind sehr selbstständig und aufgeschlossen erzogen, denen kann man das einfach und trotzdem ernsthaft erklären. Die beiden sind mit mir als voll berufstätiger Mutter aufgewachsen. Ich nehm’ sie immer wieder an meine Arbeitsstätte mit, um ihnen zu zeigen, wo die Mama ist, wenn sie nicht zu Hause ist. Natürlich hab ich ihnen nähergebracht, dass sie in den ersten Monaten zurückstecken müssen und es mich nur an den Abenden und Wochenenden zu Hause gibt.

Vor einigen Jahren haben Sie gesagt: "Zwei Nachmittage pro Woche daheim ...
... sind mir heilig!" Ja (lacht). Das spielt’s in der toughen Anfangszeit nicht. Aber Ferien sind unverrückbar. Wir haben die Weihnachtsferien miteinander verbracht, wir verbringen jetzt die Semesterferien miteinander, auch die Osterferien. Das ist fix – obwohl ich genau wüsste, was ich in der ersten Februarwoche hier zu tun hätte (wirft einen Blick auf den Schreibtisch und schmunzelt). Aber das sind die Säulen, an denen die Kinder merken: Auch in der Minimalvariante können sie sich darauf verlassen, was die Mama versprochen hat.

Und wie geht es Ihnen damit?
Auch ich brauche diese Perspektive. Der Plan ist, in eineinhalb Jahren wieder in einen normalen Arbeitsalltag hineinzukommen. Bis dahin gibt es Inseln, die unverrückbar sind. So geht’s mir gut damit.

Sie haben einmal erzählt, dass Sie auch ohne Arbeit glücklich wären. Gilt das nach wie vor?
Ich kann mir ein beschauliches, philosophisches, naturverbundenes Leben sehr gut vorstellen. Aber die Arbeit gibt mir irrsinnig viel. Es ist auch in der Kindererziehung ein wichtiger Faktor, zu vermitteln, dass Arbeit nicht nur zweckorientiert ist, sondern Spaß macht.

Sie hatten eine glückliche Kindheit und haben an sich selbst den Anspruch gestellt, Ihren Kindern das zu geben, was Ihre Eltern Ihnen gegeben haben. Ist das bis jetzt gelungen?
Über weite Strecken ja. Weil ich meinen Kindern diesen Nestfaktor – Familie heißt Geborgenheit, heißt Vertrauen – sehr wohl vermitteln kann. Auch wenn es nicht so ist wie in der Familie, in der ich aufgewachsen bin, mit einer funktionierenden und herzlichen Ehe meiner Eltern. Aber der Verbund mit dem Vater vom Stanislaus ist herzlich, ist ehrlich, ist – verbunden.

Der Vater Ihres Sohnes Stanislaus, der Schauspieler Erwin Steinhauer, mit dem Sie einige Jahre in einer Beziehung gelebt haben, sagte vergangene Woche in einem Interview für die KURIER-Kultur über sein Verhältnis zum ORF: "Der ORF braucht mich nicht. Ich nicht den ORF!" Mit Ihnen habe er "einen wunderbaren Sohn", beruflich aber "nichts zu tun". Wie sehen Sie das?
Es verlangt hohe Sensibilität und Ehrlichkeit, wenn zwei Menschen, die in ähnlichen Berufen tätig sind, in einer offenen Neidgesellschaft, wie es Österreich ist, ihren Weg finden müssen. Ich habe dazu, als wir noch in einer aufrechten Beziehung waren, einmal gesagt: "Ich finde es nicht fair, entweder Zölibat oder Arbeitslosigkeit zu verlangen." Ich werde nicht aufhören, einen der besten Schauspieler des Landes zu ermuntern, auch für den ORF tätig zu sein.

Sie haben vorhin die "herzliche Ehe" Ihrer Eltern erwähnt. Wollten Sie selbst je heiraten?
(Denkt kurz nach) An und für sich bin ich jemand, der heiraten würde, weil ich das für ein ehrliches Bekenntnis in einer Gesellschaft halte, aber dazu gehören zwei (lacht).

Sie sagen, Sie arbeiten "nicht zurufgetrieben". Wie werden Sie mit politischen Interventionen umgehen?
Ich unterscheide zwischen sinnvollen Anregungen und Interventionen. Interventionen, die unter Politdruck entstehen, weise ich von mir.

Das wird schwierig, da Sie auch für den Informationsbereich verantwortlich sind.

Ich habe jetzt sechs Wochen Erfahrung, und da hat es derartige Interventionen, von denen Sie jetzt sprechen, nicht gegeben. Ich glaube aber insgesamt, dass es nicht so schlimm ist, wie es dargestellt wird. Von Fall zu Fall wird es sicher Interventionen geben, mit denen aber die Chefredakteure – sprich: Waltraud Langer und Fritz Dittlbacher – sehr seriös umgehen.

Als "Superdirektorin" und "ORF-Optimiererin" werden Sie in den Medien tituliert. Können Sie mit der Bürde schlafen?
Ja (schmunzelt). Ich kann niemandem die Klassifikation vorschreiben. Andererseits ist mir klar, dass ich eine Position habe, die eine der obersten und mächtigsten in Österreich ist.

Wie gehen Sie mit Ihrer Macht um?
Ich hab für mich definiert: Dass ich Macht habe, heißt machen können. Und dieses "Machen können" ist verbunden mit sehr geerdeten Vorstellungen, was gut und richtig ist; mit einem humanistischen Fundament, das geprägt ist von selten gewordenen idealistischen Vorstellungen.

Inwiefern idealistisch?
Respektvoller Umgang miteinander, Wertschätzung für Menschen aus verschiedensten Ländern und Religionen, der Umgang der arbeitenden Generation mit den Jüngsten, aber auch mit den Ältesten der Gesellschaft. Ich glaube, dass man in so einer Position dazu beitragen kann, auch wieder mehr an immaterielle Werte zu denken.

Sie sagen: "Programmgestaltung ist Handwerk, Knochenarbeit und Mut". Sie gelten als mutig. In Ihrer Zeit als ORF-Programmintendantin (1994 bis 2001, Anm.) haben Sie etwa, trotz heftiger Kritik, die "Barbara Karlich Show" eingeführt oder das Erfolgsformat "Taxi Orange". Ist diesmal wieder mit völlig neuen Gesichtern und Formaten zu rechnen?
Da muss man schon die Kirche im Dorf lassen. Ich hab damals in den sieben Jahren nicht nur Erfolge produziert. Da hat es richtige und falsche Entscheidungen gegeben.

Habe ich Sie richtig verstanden? Sie haben gerade gesagt, dass Sie Fehler gemacht haben?
Natürlich! Mut heißt ja nicht, wahllos Wege zu beschreiten, die jemand anderer noch nicht beschritten hat. Mut ist nicht blinder Aktionismus. Mut heißt auf Basis des Handwerks und der Profession auch auf die Intuition zu vertrauen und damit unkonventionelle Wege zu gehen, die erfolgreich sein können – oder nicht. Das ist der Kern des Muts. Aber man ist in diesem Land so unglaublich angstgesteuert, weil die offene Neidgesellschaft sich sofort auf alles draufsetzt, was nicht funktioniert, statt einander permanent zu ermutigen, Dinge auszuprobieren, die zum Guten führen können.

Sie gelten als eine er besten Personalentscheidungen der Ära Zeiler im ORF. Wie oft hat Gerhard Zeiler, nunmehr Chef der RTL-Gruppe, versucht, Sie zu RTL zu holen?
Ein Mal.

Wann war das?
Da muss ich nachdenken. Ich war schon bei den Vereinigten Bühnen. Wir haben regelmäßigen, sehr freundschaftlichen Kontakt, und da hat er mich gefragt, ob es in meiner Lebensperspektive RTL geben könnte.

Was haben Sie geantwortet?
"Rein theoretisch schon. Nur hab ich jetzt bei den Vereinigten Bühnen begonnen und möchte da meine Ziele erreichen."

Frage an Sie als Fernsehdirektorin und Mutter: Ab wann durften Ihre Kinder fernsehen?
Der Stani hat das erste Mal mit drei ferngeschaut. Wichtig sind dabei klare Regeln: zeitlich limitiert und nicht über die Altersgrenze hinaus. Aber natürlich gibt für einen 12-Jährigen nichts Spannenderes, als die Mutter dazu zu kriegen, einen Film sehen zu dürfen, der ab 16 ist.

Sie selbst zeichnen für die Einblendung der Altersbeschränkung verantwortlich ...
Und ich weiß genau, wie schwer es ist, Kinder zu leiten. Das Angebot ist da – Internet, Videospiele –, der Peergroup-Druck in der Klasse ist da. Wir haben täglich Diskussionen.

Und wer gewinnt?
Meistens ich (lacht)! Nein, um ehrlich zu sein: Das hat auch damit zu tun, wie viel Energie man an dem Tag hat. Man ist ja auch nur ein Mensch, der ab und zu müde ist und nicht mehr diskutieren will. Aber mein Ziel ist, so konsequent wie möglich zu sein.

Zur Person: Fernsehmacherin und Familienmensch

Zechner über die Neidgesellschaft Österreich

Karriere: Kathrin Zechner, 48, hat Rechtswissenschaften studiert und kam 1986 erstmals als Volontärin zum ORF. 1991 wurde sie Unterhaltungschefin bei Tele 5 in München, danach arbeitete sie drei Jahre für John de Mol in Köln. 1994 holte sie der damalige Generalintendant Gerhard Zeiler als Programmintendantin zum ORF. 2002 wechselte sie zu den Vereinigten Bühnen, wo sie bis Ende 2011 tätig war. Im September des Vorjahres wurde sie zur ORF-Fernsehdirektorin gewählt. Im Jänner trat sie ihr Amt an, hielt sich während der Affäre Pelinka im Hintergrund und stellte vergangenen Dienstag den Fahrplan für die Programmreform vor: Analyse bis Ende März, Testphase bis Mitte des Jahres, ab September schrittweise Einführung des neuen Sendeschemas.

Familie: Sie lebt mit ihren Kindern in Wien. Der ältere Sohn Stanislaus, 12, stammt aus der Beziehung mit Erwin Steinhauer; Rithy ist 8 und kommt aus Kambodscha, ihn hat sie 2006 adoptiert. "Zur Familie gehört auch die Kinderfrau", betont Zechner.

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