Zechner setzt auf Widerstand und Tagespresse

Kathrin Zechner bleibt ORF-Direktorin – nun fürs Programm.
ORF-Programmdirektorin Kathrin Zechner kündigt im KURIER-Interview eine neue Reportage-Leiste und etliche fiktionale Formate an. Die digitalen Angebote will sie ausbauen.

KURIER: Sie waren ORF-Fernsehdirektorin, sind ab Jänner fürs Programm zuständig – und haben bereits viele Pläne?

Kathrin Zechner: Ja. Es wird einen Schwerpunkt in der Information geben – vor allem für ORFeins. Ich habe mich unter dem Motto beworben: "It’s not the speed, but the facts." Egal, welches Medium: Wer sich der Qualität verschreibt, muss auf die Fakten Wert legen, auch wenn er daher erst später mit der Nachricht rausgehen kann.

Was bedeutet das konkret?

Wir haben bereits die aktuelle Berichterstattung ausgeweitet, wir haben Spezialformate wie die "Wahlfahrt" von Hanno Settele entwickelt und mit "DOKeins" eine Doku-Leiste begonnen. Dieses Paket möchte ich in einer Zeit, in der haltlose Fake-News das Netz bestimmen, um eine Reportageleiste erweitern. Wir diskutieren intern, wie wir Fakten präsentieren müssen, damit sie wirklich verstanden werden können. Sachlichkeit allein reicht nicht. Wir sind in der Tonalität mitunter zu abgehoben in der Frage, was wir an Wissen voraussetzen dürfen. Es geht nicht um Populismus, sondern darum, komplexe Zusammenhänge so zu erklären, dass sie begreifbar sind. Das ist sicher eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre.

Angeblich will Settele nicht mehr auf "Wahlfahrt" gehen.

Das ist wie bei Alfred Komarek: Er will auch schon seit drei Folgen keinen Polt-Krimi mehr schreiben. Wenn Leute etwas richtig gut können, dann gebe ich nicht auf, sie vom Weitermachen zu überzeugen. Ich bin mir sicher, dass die "Wahlfahrt" weitergehen wird – mit Settele. Er arbeitet übrigens gerade an einer "DOKeins"-Geschichte zum Thema Verschwörungstheorien. Denn wir bereiten wieder eine Kampagne rund um den Weltfrauentag mit dem Fokus "Gegen Hass im Netz" vor, die Doku ist als Ergänzung geplant. Zudem wird sich Christoph Feurstein mit der Frage beschäftigen, wie man zum Beispiel als Eltern und Lehrer richtig reagiert, wenn Mädchen in Hasspostings sexuelle Gewalt angedroht wird. Thematisieren wollen wir auch die sprachliche Verrohung.

Viele junge Menschen sprechen daheim nicht Deutsch. Dieser Parallelgesellschaft macht der ORF keine Programmangebote. Ist das nicht fatal?

Ich glaube nicht, dass es uns gelingen wird, diese Personengruppe von ihren Heimatsendern wegzubringen. Aber wir prüfen, wie wir unsere digitalen Inhalte untertiteln können. Vielleicht ist die Übersetzung zumindest im Bereich Information ein adäquates Mittel. Wir haben vor, die "ZIB100", unser Nachrichtenangebot auch für Smartphones, in diesem Sinne weiterzuentwickeln. Ich finde, dass die Verbindung von linearem Fernsehen und digitalen Inhalten sehr gut funktioniert. Für die Eventserie "Pregau" zum Beispiel hat das Unternehmen Tonio eine App entwickelt: Die Zuschauer konnten als Profiler arbeiten.

Stichwort "Pregau": Was planen Sie im fiktionalen Bereich?

Ich hoffe, dass die "Vorstadtweiber" noch länger funktionieren. Ein Kinofilm ist in Planung, die ersten fünf Folgen der dritten Staffel sind bereits im Rohschnitt, die nächsten fünf werden im Frühjahr gedreht.

Optimismus trotz eines erheblichen Zuschauerrückgangs?

Bei einem Marktanteil von 34 Prozent bei den 12- bis 49-Jährigen freue ich mich über das, was uns geglückt ist – auch wenn es einen Rückgang gab. Aber er war nicht erheblich: Die erste Staffel hatte 858.000 Seherinnen und Seher im Durchschnitt, die zweite 762.000. Das ist weiterhin ein großer Erfolg!

Gibt es in der dritten Staffel gröbere Veränderungen?

Die Figur der Hilde Dahlik wird ein bisschen ausgebaut, einer der Neuzugänge ist Murathan Muslu. Ein großartiger Kerl! Er spielt einen Krankenpfleger. Ansonsten setzen wir auf das bewährte Team.

Sind weitere Serien angedacht? Vor Längerem haben Sie "Männerschmerzen" angekündigt.

Wenn Uli Brée mit der dritten Staffel der "Vorstadtweiber" fertig ist, schreibt er "Männerschmerzen"! Aber Serien sind nicht so leicht zu realisieren. Eine Netflix-Serie wie "The Crown" kostet 10–15 Millionen Dollar pro Folge, unsere Produktionskosten liegen nur zwischen 300.000 und 600.000 Euro pro Folge. Trotzdem gelingt uns Außergewöhnliches – wie zuletzt "Pregau".

Tatsächlich "Pregau"?

Ich finde, "Pregau" hat über weite Strecken funktioniert.

Worauf dürfen wir uns freuen?

Wir sind mit David Schalko im ständigen Austausch zu neuen Stoffen und Formaten. Konkret arbeitet er mit uns an einem sehr ambitionierten, ko-produzierten Mehrteiler in der Tradition von "Braunschlag" und "Altes Geld". Und er hat noch ein Projekt mit komödiantischer Tonalität im Stil von "Die Aufschneider". Die Entscheidung, ob wir beide Projekte oder nur eines realisieren können, ist noch nicht gefallen. Mit Mike Majzen arbeiten wir zudem an einer fiktionalen Eventserie über Widerstand in der NS-Zeit, begleitend werden wir "Widerstand heute" in mehreren Reportagen und Dokus thematisieren. Und wir wollen auch neue Reihen etablieren.

Die "Landkrimis" werden durch die "Stadtkomödien" ergänzt ...

Ja. Rund um Weihnachten zeigen wir noch drei "Landkrimis", damit ist die erste Bundesländer-Runde abgeschlossen. Wir entwickeln bereits die nächsten neun Geschichten. Beim steirischen "Landkrimi" ist die ARD eingestiegen. Ich hoffe, dass wir noch weitere Partner gewinnen. Wir haben gerade die Wiener "Stadtkomödie" abgedreht. In "Herrgott für Anfänger" geht es um einen Erb- und Nachfolgestreit in einem Heurigen zwischen einer christlich-katholischen Kellnerin und einem muslimischen Taxifahrer. Weitere "Stadtkomödien" spielen in Graz und Klagenfurt.

Im Bereich Comedy hat der ORF Terrain verloren: Puls4 zum Beispiel ist mit "Bist Du deppert!" höchst erfolgreich. Auch der "Witzestammtisch" geht gut.

Ja, ich habe zu "Bist Du deppert!" auch gratuliert. Den "Witzestammtisch" hingegen und andere Formate halte ich weder für erfolgreich noch nachahmenswert. Unser "Gemischtes Doppel" mit Katharina Straßer und Thomas Stipsits ist hervorragend und wird sehr gut angenommen – das würde ich gerne fortsetzen. Und mit den "Staatskünstlern" würde ich gerne nicht nur ein Mal, sondern vier Mal im Jahr etwas machen. Wir müssen aber auch Neues ausprobieren. Daher gehen wir mit der "Tagespresse" in eine Pilotphase.

Und zuletzt noch die Pläne im Bereich Show?

Die "Great Moments" zum 60-Jahr-Jubiläum des ORF hatten eine Leichtfüßigkeit. Aus dem Konzept, dass sich prominente Paarungen in Wissensfragen und Actionspielen matchen, entwickeln wir eine Quizshow mit acht Folgen für den Herbst 2017. Der Arbeitstitel lautet "Was Sie schon immer über … wissen wollten".

Sex?

Nein. Unser Fokus sind Tiere, Musik, Sport – und natürlich Österreich.

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