Bei manchen Prüfungen, um bei einem Hauptthema der „Zauberflöte“ zu bleiben, geht es wohl nicht darum, sie zu bestehen - sondern darum, möglichst würdevoll und mit dem Ziel in Sichtweite an ihnen zu scheitern. Vielleicht gehört eine neue „Zauberflöte“ an der Wiener Staatsoper zu dieser Art von Prüfungen: Das Werk ist, im Wortsinn, eingeschrieben in das Haus (Motive daraus finden sich in den Wandverzierungen), der Mozartklang und die Mozartstimmen sind Prüfsteine, an denen man es misst, und dann wäre da noch die auch schon legendäre Inszenierung von Otto Schenk, die vielen Operngehern als Maß der Regiedinge gilt.
Eine Neuinszenierung der vielgespielten Mozart'schen Hitoper also ist ein Kanonmoment für das Haus. Man ist am Montagabend aus dieser Prüfung vielleicht erleichtert herausgegangen. Schließlich gab es gehörigen Jubel für Dirigent Bertrand de Billy und das Orchester und einen interessanten Widerstreit zwischen Zustimmung und Ablehnung für die Regisseurin Barbora Horáková.
Bestanden ist schließlich bestanden - oder?
Im Spukhaus
Man hat jedenfalls in vielerlei Hinsicht die Nerven bewahrt. Und musste das auch als Publikum tun: Aus dem ersten Aufzug ging man ermattet und sorgenvoll in die Pause. Horáková verlegt die Handlung in ein Spukhaus, in das die drei Knaben auf ihren BMX-Rädern fahren - und wo sie dann das Märchen von der Weisheit und der Liebe beobachten (und später, wenn gar nichts mehr hilft, auch beeinflussen). Das ist eine so schlüssige Idee wie viele andere, die man zur „Zauberflöte“ haben kann, schlau wird man aus Schikaneders Singspiel-Libretto mit seinem Wirrwarr aus zeitverhaftetem Vorstadthumor, Geheimbundsymbolik und Aufklärungsbeschwörung letztlich ja ohnehin nicht.
Die düstere Location aber sorgt dafür, dass der erste Aufzug in vielleicht nicht 50, aber doch sehr viele Schattierungen von Grau getaucht ist. In der Nacht, aus der Tamino und Papageno emporsteigen müssen, sind nicht nur die Katzen grau, sondern schlicht alles, und da hat man doch hin und wieder schon interessanteres gesehen, da ging, sorry, mancher Zauber flöten.
Der flotte Beginn - Papageno (Ludwig Mittelhammer) fährt auf dem Luster herunter, die Königin der Nacht (Serena Sáenz) in einer Vitrine vorbei - verläuft sich alsbald in ein statisches Einerlei.
Und dann hatte da noch Julian Prégardien seine eigene Prüfung zu meistern: Das Bildnis war so, wie er es in seinem ersten exponierten Auftritt als Tamino besungen hat, alles andere als bezaubernd schön. Mehrfach stutzte man über unschöne Verschleifungen in seiner an sich in den Höhen leichten und angenehm raumfüllenden Stimme. Ein Balanceakt zwischen Wohlklang und Weh, der sich später in der Form nicht mehr wiederholen sollte, aber etwas ratlos zurückließ.
Da war man dann eingestimmt auf einen zentralen Einwand, der auch mit dem abschließenden Jubel für die Sängerinnen und Sänger nicht weggewischt wurde: Auch wenn die Stimmen im Einzelnen mehr oder weniger punkten konnten, hörte man insgesamt ein inhomogenes Tonalitätenkaleidoskop, das sich nicht recht zusammenfügen wollte. Serena Sáenz bewältigte die berühmte Rachearie mit den wahnsinnigen Koloraturen mit jener Bravour, die man sich realistisch wünschen kann, aber einer herausstechenden Schärfe.
Georg Zeppenfeld lud den Sarastro mit tieftönender Würde auf, die aber eine Ahnung von Unbeweglichkeit nicht abschütteln konnte.
Die Pamina von Slávka Zámečníková ist in jeder Hinsicht vorzüglich, Ilia Staple als Papagena witzig und rollengerecht. Und die drei Knaben lassen ahnen, wie schwierig ihre Partien zu singen sind.
Zimmersetzkasten
Wer sich nach der Pause in Sorge vor weiteren 100 Minuten Grauschattierung hinsetzte, mag bald erleichtert aufgeatmet haben: Der Weg zur Weisheit führt Tamino und Papageno in ansehlichere Gefilde - wenn diese auch nicht jenen naturalistischen Charme entwickelten, nach dem sich mancher wohl gesehnt haben wird.
Das Spukhaus wird zum Zimmersetzkasten: Die Prüfungen der beiden finden in sich öffnenden Räumen an der Fassade statt.
Es sind die Stationen eines Lebens, von der Schule über die Kompliziertheiten des Datings bis zum gemeinsamen Altern, das hier als der Weisheit letzter Schluss gilt: Wer es schafft, nicht nur weise zu werden, sondern dabei auch nicht den vorherbestimmten Partner zu vergrämen, hat im Leben gewonnen.
Tamino und Papageno gehen die Sache mit dem Weise-Werden bekanntermaßen recht unterschiedlich an. Mittelhammer kann sich hier als Entertainer mit bayerischem Stimmenschlag profilieren. Sein Hadern mit den Verlockungen des Fleischlichen und die Sehnsucht nach der Abkürzung auf dem Weg zur Weisheit hat Schmäh (überhaupt sind die oft rhythmisch problematischen Sprechstellen großteils überaus gelungen). Aus dem Souffleurkasten werden Weinflaschen gereicht und später, als Papagena und Papageno das mit der Liebe hinbekommen haben, auch Babygewand.
Tamino und Pamina bieten das Drama zur Farce, die Schweigeprüfung - hier in einer Art schmuckloser Wartehalle - berührt. Dass Tamino beim Eintritt in den Tempel der Weisheit erstmal eine Bar vorfindet, erntet wissende Lacher im Publikum.
Am Schluss dann begegnen sie einander im hohen Alter, mit lebensgroßen Alte-Menschen-Puppen auf dem Rücken vollziehen sie ein beglückendes Umschwärmen. Projektionen auf einem transparenten Vorhang zeigen, dass in den beiden alten Liebenden junge Menschen stecken, ein trostreicher Gedanke. Zum Finale legen alle die Märchenkleidung ab, Sarastro und die Königin der Nacht, die weisen Männer und das gerade noch zum Tempelsturm aufgelegte Volk, alle singen gemeinsam das Loblied auf die Stärke, die Schönheit und die Weisheit und drehen am Glockenspiel. Das Märchen davon, dass sich die Menschen nach Weisheit sehnen, hat ein Happy End.
Nach Hause geht man vor allem mit einem Klang im Ohr, den es nur hier gibt. Das Orchester schafft bei Mozart nämlich etwas, das eigentlich widersinnig scheint: Der Klang ist zugleich üppig und herrlich luftig, wie auch immer das geht. Dieses Salzburger Mozartnockerl ging vorbildlich auf: Das Publikum dankte De Billy, der vom erkrankten Franz Welser-Möst übernommen hat, euphorisch.
Bemerkenswert war die Reaktion auf die Regie: Es gab, wie fast immer, Buhrufe, aber ebenso laute Zustimmung für eine „Zauberflöte“, die alles andere als gefällig war.
(kurier.at)
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Aktualisiert am 28.01.2025, 00:47
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