Bastian Kraft, 1980 in Göppingen geboren, glückten auf den Bühnen des Burgtheaters etliche herausragende Inszenierungen, darunter „Ludwig II“ nach dem Film von Luchino Visconti (2016) und „Die Schwerkraft der Verhältnisse“ nach dem Roman von Marianne Fritz (2021).
Seine Umsetzung von Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Gray“ mit Markus Meyer ist seit 2010 im Repertoire – und erlebte bereits mehr als 200 Vorstellungen (die nächste findet am 27. Februar statt). Nun bringt der baumlange Kraft den berühmten Roman „Der Zauberberg“ auf die Vorbühne des Burgtheaters; Premiere ist am 28. Jänner.
KURIER: Ihre Karriere begann so richtig am Burgtheater – vor 13 Jahren mit Ihrer Inszenierung „Dorian Gray“ nach Oscar Wilde?
Bastian Kraft: Genau. Wenn ich jetzt durchs Burgtheater gehe, denke ich oft an mich als Regieassistent, also mein jüngeres Ich. „Dorian Gray“ war meine Abschlussarbeit.
Und wurde, weiterhin im Repertoire, ein riesiger Erfolg: Die Produktion wechselte vom winzigen Vestibül ins Akademietheater.
Nach fünf Jahren. Wir hatten schon davor bei Gastspielen gemerkt, dass ein größerer Raum der Inszenierung guttut. Ins Vestibül war sie reingekeilt gewesen. Vor zwei Jahren, anlässlich der 200. Vorstellung, haben wir sie um einen neuen Anfangsmonolog ergänzt. Denn Markus Meyer steht auf der Bühne im Dialog mit Videoeinspielungen. Er ist im Laufe der Jahre gealtert, die Videos aber nicht. Es gibt daher eine schöne Verschränkung zwischen der Geschichte – Dorian Gray verfällt dem Wunsch nach ewiger Jugend – und der Inszenierung.
„Dorian Gray“ war eine Dramatisierung, es folgten viele weitere: Sie inszenierten die „Traumnovelle“ von Arthur Schnitzler, „Amerika“ von Franz Kafka, „Der Steppenwolf“ von Hermann Hesse. Warum?
Das klassische Drama erzählt, was zwischen zwei Menschen vor sich geht. In Romanen, Erzählungen oder Novellen hingegen geht es oft mehr um Innenwelten. Mich hat immer die Frage beschäftigt: Wie kann ich auf der Bühne Vorgänge inszenieren, die im Kopf der Protagonisten stattfinden? Dramatisierungen zwingen mich zudem, eine theatrale Form zu erfinden. Ich bin also schon in der Konzeption zu Entscheidungen gezwungen, wie der Abend aussehen wird.
Aber ist es nicht die Aufgabe des Theaters, Theaterstücke auf die Bühne zu bringen?
Die Aufgabe des Theaters ist, in Austausch mit dem Publikum zu treten. Die grundlegende Frage lautet daher: Lohnt es, sich mit der Vorlage – sei es ein Stück, ein Roman, das Telefonbuch oder sonst etwas – auseinanderzusetzen? Bei Romanen habe ich öfters das Gefühl, dass mir die Kommunikation gelingen kann.
Aber Sie können in der Regel nur Reader’s-Digest-Fassungen realisieren.
Das ist ja die aufregende Aufgabe: Einen Roman in ein eigenständiges theatrales Erlebnis zu verwandeln. Bei „Die Schwerkraft der Verhältnisse“ von Marianne Fritz fürs Akademietheater musste ich nur wenig kürzen, weil der Text nicht lang ist. In der Regel muss ich mehr weglassen, als ich behalten kann, was ich jedoch nicht als Verlust empfinde. Theater funktioniert ja viel unmittelbarer. Thomas Mann braucht fünf Seiten, um eine Figur zu beschreiben. Ich lasse sie einfach auftreten – mit all ihren äußerlichen Eigenschaften.
Sie haben schon drei Romane von Thomas Mann dramatisiert: „Der Tod in Venedig“, „Felix Krull“ und „Buddenbrooks“. Nun folgt „Der Zauberberg“. Was fasziniert Sie an ihm? Ist er nicht ein bisschen aus der Zeit gefallen?
Nein, er spricht zu mir. Stärker als vieles, das vermeintlich zeitgenössisch ist. Mich faszinieren seine Themenfelder, seine Sprache und seine Figurenzeichnungen. Er beschreibt Menschen messerscharf und voll Komplexität, das ist ein Traum für mich als Theatermacher.
Beim Lesen entsteht aufgrund der Dauer aber eine viel intensivere Beziehung zu den Protagonisten als in einer Aufführung.
Das stimmt, aber mit diesem Erlebnis kann und will das Theater gar nicht konkurrieren. „Der Zauberberg“ lebt stark von seinem Figurenkosmos. Den kann ich lebendig werden lassen. Und die Sprache von Thomas Mann eignet sich hervorragend für die Bühne: Die Sätze erschließen sich beim Sprechen oft viel klarer.
Warum „Der Zauberberg“?
Ich habe die Inszenierung seit Beginn der Pandemie vorbereitet. Der Roman setzt sich mit der Frage auseinander, was ein Mensch wert ist. Thomas Mann beschreibt – wie auch in den „Buddenbrooks“ – präzise die Mechanismen von Abnutzung, den Kampf gegen die Kräfte des Zerfalls.
Der Roman spielt unter Lungenkranken in einem Sanatorium. Und das Coronavirus griff anfangs besonders die Lungen an. Also das Stück zur Lage?
Nach Ausbruch von Covid dachten viele sofort an „Die Pest“. Aber es ist ein Trugschluss, Theater als tagesaktuelles Medium zu begreifen. Denn wenn dann die Produktion rauskommt, ist das Geschehen schon ganz woanders. Nein, die Entscheidung, „Der Zauberberg“ zu machen, hat nichts mit der Pandemie zu tun – auch wenn die ganze Welt damals ein Sanatorium war: Alle haben Fieber gemessen …
Im „Zauberberg“ taumelt eine morbide Gesellschaft auf eine Katastrophe zu. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs hängt bedrohlich über den Ereignissen. Sehen Sie da eine Parallele zur heutigen Zeit?
Der Erste Weltkrieg, der mitten im Schreibprozess von Thomas Mann ausbrach, hat dem Roman erst die Rahmung gegeben. Ansonsten würde Hans Castorp nicht vom Zauberberg runterkommen. Und da gibt es schon eine Parallele: Ich sehe mich als Teil einer europäischen „Blase“, die von den Auswirkungen vieler Entwicklungen – etwa des Klimawandels – lange nicht tangiert wurde. Und natürlich stellt sich da die Frage: Wie lang kann das noch weitergehen?
Sie haben von einem „Figurenkosmos“ gesprochen, arbeiten aber nur mit vier Schauspielern …
Und ich begnüge mich mit der Vorbühne. Das war eben mein Ansatz. Den „Zauberberg“ zu machen ist ja auch Hybris. Daher: Ein großer Stoff, ein großes Panorama, aber in einem limitierten Bühnenraum mit einer kompakten Besetzung. Der Fokus liegt auf Hans Castorp: Felix Kammerer, Dagna Litzenberger Vinet, Markus Meyer und Sylvie Rohrer spielen die verschiedenen Stimmen in seinem Kopf – und auch alle anderen Rollen.
Viele Bühnen haben nach Corona Auslastungsprobleme. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Meine Vision ist immer, das Publikum in einer großen Breite anzusprechen – von meiner Tante über meine Freunde bis zu den Menschen, mit denen ich Theaterwissenschaft studiert habe. Da hat sich nichts verändert. Was sich aber zum Beispiel verändert hat: Die Leute kaufen Karten viel kurzfristiger. Aber das ist nur ein Aspekt von vielen. Es ist auf jeden Fall unsere Aufgabe, das Publikum zurückzuholen und zu verführen.
„Die Schwerkraft der Verhältnisse“ ist herausragend, aber schlecht ausgelastet. Wer mag sich in der heutigen Zeit schon anschauen, wie eine Mutter ihre Kinder umbringt? Im Spielplan der Burg dominieren generell die tristen Stoffe.
Ich kann nur sagen: Ich habe zuletzt zwei Komödien gemacht, und als nächstes von Nestroy „Der Talisman“.
Aber nicht in Wien.
Weil ich mich hier nicht trau’. In Hamburg kennen die meisten Menschen Nestroy nicht und es gibt keine Erwartungshaltung, die mich in meiner Fantasie einschränkt. Was ich aber sagen wollte: Die Entscheidung fiel zu Beginn des Ukraine-Kriegs. Die Frage war: Können wir jetzt Nestroy ansetzen, in solch grausamen Zeiten? Ist es Eskapismus, vermeintlich leichte Stoffe zu machen?... Aber wir müssen, finde ich, doch auch das Lachen verteidigen. Zumal Nestroy vieles ist, aber ganz sicher kein Eskapismus.
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