Wer nicht schon seit der vergnüglichen Palastsatire „The Favourite“ auf die Seite des provokanten Griechen stand, tat es spätestens bei „Poor Things“: Dem „Lobster“-Regisseur, bekannt für seine rigide Arthouse-Ästhetik und seinem grausamen Witz, schlug einhellige Begeisterung entgegen. Diese unerwartet hohe Gunst beim Publikum wurde dem sardonischen Griechen nun offensichtlich unheimlich, sodass er beschloss, mit dem nächsten Eintrag in den Hauptwettbewerb von Cannes seine neuen Fans vor den Kopf zu stoßen: Er kollaborierte wieder mit seinem früheren Drehbuchautor Efthimis Filippou („Dogtooth“, „The Killing of a Sacred Deer“) und fand für „The Kinds of Kindness“ zu seinem perfiden, geradezu menschenfeindlichen Humor zurück.
Doch flockig fängt es an: Der berühmte Eurythmics-Hit „Sweet Dreams Are Made Of This“ schallt von der Leinwand, die Zuschauer klatschen jubelnd in die Hände. Gerade will sich kollektives Mitwippen ausbreiten, als der Song abreißt und Lanthimos dessen Lyrics wörtlich nimmt: „Alle Menschen sind auf der Suche“, heißt es da: „Manche wollen dich ausnützen, manche wollen von dir ausgenutzt werden.“
In der Tat.
„Kinds of Kindness“ ist ein Triptychon über wechselseitige Ausbeutung, erzählt in glasklaren Bildern und mit sadistischem Humor. Eine Handvoll exzellenter Schauspieler – darunter die „Poor Thing“-Stars Emma Stone und Willem Dafoe, sowie „Breaking Bad“-Bestie Jesse Plemons – tritt in drei Episoden in drei unterschiedlichen Rollen auf. In der ersten spielt Plemons einen Angestellten, der sich von seinem Chef (Dafoe) sein gesamtes Leben diktieren lässt, inklusive den Zeitpunkt seines Geschlechtsverkehrs. In der zweiten Story verkörpert er einen Mann, der von seiner Frau (Stone) verlangt, dass sie ihm ihren Daumen serviert; und in der dritten Geschichte versucht Emma Stone, Tote aufzuwecken, und schneidet einem Hund ins Bein.
Wie bei einem Rattenexperiment beobachtet Lanthimos seine Figuren im Laboratorium der zwischenmenschlichen Beziehungen. Seine kalt servierten Versuchsanordnungen entlarven das Bedürfnis nach Zuwendung als mörderischen Selbsterhaltungstrieb. Und auch wenn er „Kinds of Kindness“ eindeutig als grimmige Sittenkomödie anlegt: Das Gelächter, das ihm entgegenschlägt, ist bestenfalls unbehaglich.
Ex-Gigolo Richard Gere
Über 40 Jahre sind vergangen, seitdem Paul Schrader zum letzten Mal mit Richard Gere zusammengearbeitet hat. Mit seinem Thriller „Ein Mann für gewisse Stunden“ (1980) machte Schrader, Drehbuchautor von Martin Scorseses „Taxi Driver“, den Schauspieler weltberühmt: Bis heute klingt Richard Gere seine Gigolo-Rolle als amerikanisches Sexidol nach; selbst in Schraders verblasenem Wettbewerbsbeitrag „Oh, Canada“ ist davon noch ein Hauch zu spüren.
Basierend auf dem Roman des verstorbenen Russell Banks, spielt Gere einen an Krebs erkrankten Filmemacher namens Leonard Fife. Kurz vor seinem Tod beschließt er, in einem letzten Interview für eine Doku seine Lebensbeichte abzulegen – vor den Ohren seiner Ehefrau (Uma Thurman). In konfusen Rückblenden rekapituliert Fife seinen Werdegang. Doch anstatt über seine gefeierte Filmarbeit zu sprechen, demontiert er sein Leben als Abfolge selbstsüchtiger Lügen und Täuschungen. Schraders Erzählansatz, die Biografie eines erfolgreichen Mannes in seine mickrigen Einzelteile zu zerlegen, hat erfrischenden Charme, findet aber trotz des eindringlichen Spiels von Richard Gere nicht zu einer überzeugenden Form. Auch er kein Höhepunkt in Cannes.
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