Wim Wenders: Gefühle unterm Vergrößerungsglas

Wim Wenders: Gefühle unterm Vergrößerungsglas
Wim Wenders schwärmt über sein Drama "Everything Will Be Fine" und die Möglichkeiten von 3-D.

Wim Wenders ist unglaublich zufrieden mit sich selbst.

Seiner Meinung nach hat er mit seinem neuen Werk "Everything Will Be Fine" (ab Freitag im Kino) einen der innovativsten 3-D-Filme aller Zeiten gedreht.

Weiters überreichte ihm die Berlinale den Ehrenbären für sein Lebenswerk. Im Zuge dessen konnte Wenders seine alten Meisterwerke, die ihn als deutschen Auteur weltweit berühmt machten, digital restaurieren – von "Alice in den Städten" (1974) über "Paris, Texas" (1984) hin zu "Bis ans Ende der Welt" von 1991 (Wenders’ Lieblingsfilm, "weil es Science Fiction ist").

Seine Doku "Das Salz der Erde" (gemeinsam mit dem brasilianische Fotografen Sebastião Salgado) brachte ihm heuer eine Oscar-Nominierung ein.

Und schließlich zeigte das Museum of Modern Art in New York im März eine Retrospektive seiner Arbeit.

Kurzum: Es läuft gerade bestens für den mittlerweile 69-jährigen Filmemacher, dessen Gesamtwerk über 30 Filmtitel umfasst – darunter so Weltmagneten wie "Himmel über Berlin" (1987).

3-D-Fan

Warum er nach seinen letzten Doku-Arbeiten die Rückkehr zum Spielfilm ausgerechnet in 3-D antrat, kann Wim Wenders leicht erklären.

Wim Wenders: Gefühle unterm Vergrößerungsglas
Director Wim Wenders attends news conference at the 65th Berlinale International Film Festival in Berlin February 12, 2015. The Homage of the 65th Berlin International Film Festival will be dedicated to German filmmaker Wenders, who will also be awarded an Honorary Golden Bear for his lifetime achievement. REUTERS/Stefanie Loos (GERMANY - Tags: ENTERTAINMENT)
Die Idee dazu sei ihm während der Dreharbeiten zu seinem Tanzfilm "Pina" (2011) – der ersten Arthouse-Doku in 3-D – gekommen, erzählt der Regisseur mit sanfter Stimme im KURIER-Interview. Am Ende habe er Großaufnahmen von den Tänzern in 3-D gemacht: "Und diese Großaufnahmen waren unglaublich aufregend. Die Menschen bekamen eine Präsenz, wie ich sie nie zuvor auf der Leinwand gesehen habe. Man konnte jede Gefühlsregung wahrnehmen – wie durch ein Vergrößerungsglas." Dieser Moment sei die Geburtsstunde seines jetzigen Films "Everything Will Be Fine" gewesen: "Ich wollte unbedingt ein Drama in 3-D erzählen und meinem verschlossenen Hauptdarsteller in die Seele blicken."

Der verschlossene Hauptdarsteller, dem Wenders in die Seele blickt, ist James Franco. Er spielt einen egozentrischen Schriftsteller im kanadischen Quebec. Nachdem er mit seinem Auto ein Kind überfährt, muss er mit großen Schuldgefühlen zurande kommen. Gleichzeitig macht ihn das Unglück aber auch kreativ und befördert seine Karriere. Diese dramatische, intime Geschichte habe sich fabelhaft für 3-D angeboten, glaubt Wenders, denn "als Zuseher bekommt man das Gefühl, man könnte die Figuren fast berühren."

Ganz ist das Konzept der Nähe allerdings nicht aufgegangen: Gerade Hauptfigur Franco bleibt unnahbar und kühl – was Wenders naturgemäß nicht so sieht: "Dieser Mann geht durch die Hölle, auch wenn er es nicht zeigt. Schuld macht Menschen zu Opfern. Und Vergebung zählt zu den erhabensten Dingen. Oft ist es allerdings schwieriger, sich selbst zu vergeben als anderen."

Ihn habe aber weniger die Schuldfrage als der Heilungsprozess interessiert, den alle Beteiligten durchmachen. Das stünde ja auch schon im Titel: "Alles wird gut."

Nicht schuldig

Wenders selbst weiß, was es heißt, "schuld" zu sein oder Verantwortung zu tragen ("Wir Deutschen haben ein Nahverhältnis zur Schuld"). Er bringt – etwas überraschend – das Beispiel von "Buena Vista Social Club" (1999): Da sei er "schuld" gewesen, dass der 85-jährige Ibrahim Ferrer plötzlich "bekannt wurde wie die Beatles: Natürlich habe ich mich nicht ,schuldig‘ gefühlt", sagt Wenders, "aber es war meine Verantwortung. Es ging gut aus, aber es hätte auch anders kommen können."

Für seine zeitlos wirkenden Melodramen-Tableaus in "Everything Will Be Fine" orientierte er sich übrigens an dem US-Maler Andrew Wyeth: "Wyeth war ein Zeitgenosse von Warhol und Pollock und der Einzige, der in den 50ern und 60ern hyperrealistisch malte. Seine Arbeiten verweisen auf das Mittelalter und die Techniken von Dürer und interessieren sich für die Details des Alltags. Er wurde unser Vorbild."

Hat er je bereut, in 3-D zu drehen? Wenders denkt nach: "Nur ein einziges Mal, als uns bei minus vierzig Grad die Kamera einfror; da habe ich es verflucht. Sonst nie."

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