Der Ansatz war da wie dort, alle Studierenden des dritten Jahrgangs möglichst gleichberechtigt agieren zu lassen. Aber Ensemblestücke nur mit Hauptrollen sind rar. Auf eine Textfläche von Jelinek zurückzugreifen, liegt daher auf der Hand. Zumal „Sonne, los jetzt!“ auf Anregung von Doris Uhlich entstand, die am Seminar Tanz lehrt. Dieser Monolog einer alles versengenden Sonne war Ende 2022 von Nicolas Stemann in Zürich aus der Taufe gehoben worden. Die österreichische Erstaufführung als prächtiges Spektakel auf einem sonderbaren Raumschiff (kombiniert mit Jelineks „Luft“) fand im Oktober 2023 in Graz statt.
Sonnenverbrannt
Das Reinhardt Seminar kann budgetmäßig natürlich nicht konkurrieren. Direktorin Alexandra Althoff gelang es trotzdem, ein erstklassiges Team zu verpflichten. Dominique Wiesbauer zimmerte für die Strahlengöttin einen von LED-Lichtstäben im Zickzack umrahmten Olymp: Von den aufsteigenden Podesten aus lässt sich trefflich deklamieren. Zu Beginn und wiederholt im Chor, untermalt mit Videos: „Mit Wasser wollen sie es mir besorgen“, stellt die sich scheckig lachende Sonne fest. „Besorgt sind sie alle. Ich werde es ihnen schon noch besorgen!“
Jeder der neun Studierenden hat aber auch ein Solo zu meistern. Im Hintergrund spielt sich derweilen in der überbordenden Regie von Christina Tscharyiski ein Pantomime-Drama ab: Zunächst noch genießen die Menschen mit ihren sonnenverbrannten Gesichtern das Leben, später hauen sie sich gegenseitig, dann liegen sie ermattet herum. Und sie enden, nachdem eine digitale Jelinek-Göttin „Badeschluss“ verkündet hat, als Hot Dogs.
Nahezu alle bestechen mit ihrer Artikulation (darunter Laura Schlittke und Flo Sohn) – und doch ragen zwei besonders heraus. Denn die Band Low Life Rich Kids von Mara Romei (sie kann auch Wienerisch!) und Coco Brell spielt mit dem Gitarristen Bernhard Eder den Song „100 Grad Fahrenheit“. Man könnte fast sagen: Das bringt die Stimmung zum Kochen.
Eindeutig mehr zu lachen gibt es im Schauspielhaus. Denn Regisseurin Anne Bader integriert in den MUK-Abend jede Menge Slapstick. Auch hier gibt es Pantomime wie chorische Passagen, die Studierenden schlüpfen in Windeseile in diverse Rollen.
Das Problem jedoch ist die Vorlage. Denn man wählte drei Texte aus, die in Hinblick auf die Leipziger Buchmesse 2023 zur Frage nach dem Österreichischen entstanden sind. Um sie zu verklammern, hat man sie in ein eher (not-)dürftiges Stück von Amir Gudarzi mit dem Titel „Häuslfrau“ eingebettet.
Im Zentrum steht eine heilige Johanna der Aborte, die viel zu stark an die frömmelnde Mariedl aus Werner Schwabs „Präsidentinnen“ erinnert. Fabia Matuschek meistert die Herausforderung mit oberösterreichischem Akzent und naiver Devotheit, auf die Samira Kossebau als Assistentin herzerfrischend ruppig antwortet.
Den anderen sechs – mit Paula Carbonell Spörk als Energiebündel – bleiben die „Füller“: Der Text von Gerhild Steinbuch und Thomas Köck über Doch-nicht-Rücktrittsphrasen von Politikern ist nur ein Sketch, die Reflexion von Lisa Wentz über Missbrauch und Femizid eignet sich nicht für einen Fünfminüter. Höhepunkt ist Robert Woelfls absurde Analyse über den Müll. Dazu putzt ein Quartett übereifrig die Toilette, die Franziska Bornkamm als Würfel in die Mitte der Bühne gestellt hat.
Man kann aber noch so viel schrubben: Österreich bleibt ein kleines Land mit dunkler Vergangenheit.
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