Seidl: Immer zünftig an den Zumpf gefasst

Seidl: Immer zünftig an den Zumpf gefasst
Ulrich Seidl macht Theater: Der Film­regisseur zeigt "Böse Buben /Fiese Männer". Frei nach David Foster Wallace.

Über seinen letzten, fragmentarisch gebliebenen Roman "The Pale King" sagte David Foster Wallace, er schreibe nicht für, sondern gegen den Leser. Dann erhängte er sich.

Filmemacher Ulrich Seidl hat nun für die Festwochen im Akzent mit "Böse Buben/Fiese Männer" einen Theaterabend geschaffen, der dem depressiven US-Autor in Teilen gerecht wird.

Er überschreitet damit alle Grenzen. Die des Schmerzes, die des "Anstands", die der Geduld. Es soll weh tun.

Es tat weh.

"Kurze Interviews mit fiesen Männern" ist das Wallace-Buch, das Seidl als Gerüst für seine Arbeit verwendet. In der Vorlage sind das grauslich-grausame-groteske Geständnisse über sexuelle Verhaltensauffälligkeiten, bei deren Vortrag sich die "Interviewten" emotional und intellektuell selbst sezieren. Seidl nähert sich dem Ganzen ohne Umschweife, reiht Monolog an Monolog, lässt Rampensprecher auf Rampensprecher folgen.

Angst vor diversen F-Wörtern ist da nicht angebracht.

Seidl setzt eine siebenköpfige Truppe aus Film-, den bei ihm üblichen Laien- und Schauspielern der Münchner Kammerspiele ein. Deren Niveau ist höchst unterschiedlich. Und das in mehr als einer Hinsicht.

So war etwa Georg Friedrich nie besser, als wie er hier ein Bondage-Geheimnis offenbart; Lars Rudolph schildert, wie einem ein verkrüppelter Arm dank Mitleidstour zum Vollzug verhilft; und wenn sich der von Wolfgang Pregler gestaltete Charakter als Vergewaltigungsopfer outet, hört man, wie der Saal zu atmen aufhört.

Zu den Wallace-Texten mixt Seidl, wie stets bemüht um "Authentizität", vom Ensemble Selbstverfasstes.

Vulgärlogorrhoe

Dass das für "Busenfreund" René Rupnik dieGelegenheit ist, in Vulgärlogorrhoe auszurinnen, ist beim besten Willen nur unter "Alltagsphilosophien zu primären Geschlechtsmerkmalen" einzuordnen ...

Szenisch trieb’s Seidl – er ist Thema seines nächsten Films – in den Keller. Wo er genussvoll einen Uraltkoffer voller Männerklischees leerte. Zwischen Stühlen und Spinden wird ergo Bier getrunken, werden Pornohefte gelesen, Sport- und "Schießübungen" gemacht, diverse Demütigungsspielchen gespielt (bei Versprechern: Unterhose runterziehen).

Wann ist ein Mann ein Mann? Wenn er sich durch zünftigen Griff in den Schritt ab und an versichert, dass sein Zumpf noch dran ist.

Seidl bleibt nicht beim Unterleib. Er dringt vor bis in unterbewusste Untiefen. Wo Herr Österreicher bekanntlich alles Schiache von Antisemitismus bis Ausländerfeindlichkeit verstaut hat.

Zack.

Das war dem Gerüst zu viel symbolische Belastung. Es stürzte ein. Schade drum.

Mehr Wallace wäre wünschenswert gewesen.

KURIER-Wertung: *** von *****

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