Marthalers Collage „Letzte Tage. Ein Vorabend“

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Christoph Marthalers Collage kämpft mit erhobenem Zeigefinger gegen die Fratzen des Faschismus.

Ein sensationeller Spielort, grandiose Musiker, fabelhafte Darsteller und ein brandheißes Thema – der Papierform nach sollte Christoph Marthalers „Letzte Tage. Ein Vorabend“ einer der Höhepunkte der Wiener Festwochen sein. Doch Papier ist bekanntlich geduldig. Und das, was Christoph Marthaler mit seiner Musik- und Text-Collage zu den Themen Rassismus und Faschismus abliefert, ist vor allem gut gemeint.

Nichts weniger als ein Kaleidoskop atmosphärisch-politischer (Un-)Befindlichkeiten zwischen 1914 und der Gegenwart wollte Marthaler im historischen Sitzungssaal des Parlaments zeigen – die verwendeten Texte sind mit einer Ausnahme (Rede zum 200. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen) alle real.

Politisches Manifest

Vom widerwärtig über das Judentum schwadronierenden Karl Lueger bis hin zu den erbärmlichen verbalen Ergüssen heutiger (diesfalls steirischer) Rechtspopulisten – Marthaler prangert in seinem theatralischen Manifest den Alltagsrassismus an. Und er stellt die Musik ins Zentrum seiner Überlegungen. Ein kleine, fantastische Truppe von Live-Musikern unter der Leitung von Klangforum-Kontrabassist Uli Fussenegger spielt sich durch die Werke der von den Nazis vertriebenen und/oder ermordeten Komponisten.

Erwin Schulhoff, Pavel Haas, Viktor Ullmann, Pjotr Leschenko – sie alle dürfen erklingen, sie alle gehen direkt ins Herz. Dazu Richard Wagner in einem wenig freundlichen Kontext, Felix Mendelssohn-Bartholdy, Fritz Kreisler oder Bernhard Lang – der große Musiker Marthaler ist hier wesentlich stärker als der Regisseur Marthaler. Am Ende mündet der mehr als zweieinhalbstündige, pausenlose Abend endgültig in ein Konzert. Die Hetztiraden (Nazi-Jodler inklusive) haben ausgedient; die Musik – und sei sie noch so verzweifelt – siegt.

Bis dahin aber ist es ein langer, belehrender Weg. Ja, leider, es gibt das Ungarn eines Viktor Orbán. Ja, leider, in Österreich sind auch rechtspopulistische bis rechtsextreme Kräfte aktiv. Ja, leider, Judenhass, Fremdenfeindlichkeit sind wieder salonfähig.

Komische Tragik

Das will Marthaler mit seinen in ihrer komischen Tragik stets wundervollen Schauspielern mitteilen. Doch er bleibt dabei seltsam pädagogisch, auch kraftlos. Theatralische Sogwirkung geht nur von der Musik aus. Die Ungeheuerlichkeiten des tatsächlich Gesagten – sie verpuffen fast wirkungslos. Die Mechanismen der Bestialität – Marthaler spielt beinahe über sie hinweg. Dennoch wichtig.

KURIER-Wertung: *** von *****

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