Marthaler kocht Horváth zu Brei

Marthaler kocht Horváth zu Brei
Buhs zur Pause, Flucht der Unerfreuten, Bravos am Ende. Das ist das Resümee von Marthalers Umsetzung von Horváths "Glaube Liebe Hoffnung".

Spielt man Ödön von Horváths Wirtschaftskrisen-Drama "Glaube Liebe Hoffnung" bewusst flott, ist man in einer guten Stunde durch. Christoph Marthaler braucht im Wiener MuseumsQuartier mehr als dreieinhalb Stunden.

Die ersten zehn Minuten gehen für eine schön trist gestaltete, aber unwichtige Slapstick-Nummer drauf. Es folgt ein eher halb lustiger als böser Text zum Thema Mädchenhandel. Bis das eigentliche Stück beginnt, vergehen 20 Minuten. Dafür wird dann die erste Szene, ohne jede dramaturgische Begründung, drei Mal gespielt. Apropos: Die Hauptfigur Elisabeth hat zwei Darstellerinnen. Warum? So halt.

Und so geht es weiter: Marthaler schindet schlimmer Zeit als die Deutschen, wenn sie in Führung liegen: Wiederholungen, Dehnungen, Zeitlupen-Sequenzen, zusätzliches Material aus anderen Horváth-Texten. Und immer wieder – Marthaler gilt ja als der Musiker unter den Regisseuren – Musik. Ein Kapellmeister dirigiert ein Orchester von Lautsprechern. Dazu Chopin vom Klavier, aber auch Elton John, Märsche, Volkslieder, Chorgesang. Jede Idee für sich schön, aber insgesamt viel zu viel.

"Ein kleiner Totentanz" hat Horváth über sein Stück geschrieben. Nicht: "Eine große Oper". Marthaler – ein gerühmter Horváth-Kenner! – begeht hier eine grob fahrlässige, schwere Sachbeschädigung: das Wesen von Horváth ist seine Lakonik. Seine Stücke – und ganz besonders diese Geschichte eines Mädchens, das in den Mühlen des Gesetzes zermahlen wird – sind skizzenhaft, fragmentarisch.

Sprachkrank

Horváths Figuren haben keine Sprache. Oder: Sie haben Sprache, so wie ein Kranker die Grippe hat. Sie laborieren an ihr. Sie würgen an den Wörtern, sie stoßen sie auf – "vom Magen heraus empor", wie es im Stück heißt. Bei Horváth ist das Nichtgesagte mindestens genau so wichtig wie das Gesagte. Wer das nicht respektiert, macht ihn geschwätzig.

Das Schlimmste an dieser Vorstellung: Manche Szenen gelingen so atemberaubend gut, zart und wahrhaftig, dass man schmerzhaft merkt, was möglich gewesen wäre.

Davon abgesehen wird im detailreichen Bühnenbild von Anna Viebrock auf hohem Niveau gespielt. Hervorgehoben seien Josef Ostendorf und Irm Hermann, welche das Amtsgerichtsratspaar beinahe zu Hauptfiguren machen.

Buhs zur Pause, Flucht der Unerfreuten, Bravos am Ende.

KURIER-Wertung: *** von *****

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