Kraftwerk-Chef Hütter: "Es fängt gerade erst an"

Kraftwerk-Chef Hütter: "Es fängt gerade erst an"
Ralf Hütter, Mastermind von Kraftwerk, über wahr gewordene Träume und das neue Album.

Dafür, dass er soeben zwei Konzerte hintereinander gegeben hat, sieht Ralf Hütter beim KURIER-Gespräch überraschend erholt aus. Nach Mitternacht, in den Garderoben des Burgtheaters, gibt das Mastermind von Kraftwerk eines seiner seltenen Interviews.

KURIER: Man sagt immer, Kraftwerk steht nur rum. Im Burgtheater aus der Nähe betrachtet, haben Sie eigentlich ganz schön viel zu tun auf der Bühne.

Ralf Hütter: Was man uns früher immer vorgeworfen hat – Knöpfchendreher, Pedalbediener... Natürlich könnte man die Musik einfach abschnurren lassen, für die Kapazität der Computer wäre das kein Problem. Aber das ist ja langweilig! Wir komponieren, wir führen die Teile zusammen und gestalten den Klang. Also: Kling, Klang!

Aber die Frage, was sie da oben tun, wird dennoch oft gestellt.

Das ist nicht körperlich, das ist hochsensibel. Wie Feinchirurgie, mikroskopisch kleine Bewegungen haben große Wirkung. Die Sensibilität der elektronischen Instrumente ist unermesslich.

Früher war die Live-Umsetzung sicher schwieriger.

Wir haben mit großen, monophonen (immer nur ein Ton spielbar, Anm.) Synthesizern angefangen. Wir mussten ganz viele Spuren aufnehmen. Das war schwierig, der Aufbau dauerte stundenlang, vieles ging immer wieder kaputt. Heute ist das alles nur noch eine Software.

Eine Erleichterung?

Für uns ist das fantastisch. Kraftwerk ist eigentlich ein elektronisches Liveorchester, ein Lautsprecher-, ein Klingklangorchester. Die Technik hat sich irgendwie in unsere Fantasie hinein entwickelt. Ich müsste mal diese Zeichnungen von damals ausgraben – bei Computerwelt haben wir rumfantasiert, und es hat sich verwirklicht. Wir hatten dann erst Jahre später den ersten Computer. 3D ist für uns ein perfektes Medium, unsere Skizzen von früher konnten wir jetzt erst richtig verwirklichen. Und wir können damit auf der ganzen Welt spielen – ein Traum, der wahr geworden ist.

Auch der Rest der Welt hat sich in vielen Aspekten so entwickelt, wie es Kraftwerk vorausgesehen haben. Sind Sie mal aufgewacht und haben gedacht – wow, die Welt ist wie in einem Kraftwerk-Song?

Nein, wir waren da nicht so groß philosophisch. Unsere Musik ist eine Alltagsmusik, daher kommt ja auch dieser Popcharakter.

Vieles in den 3D-Visuals spielt mit verschiedenen Fortschrittsebenen und Retrocharme – Autobahn, VW-Käfer, Computerwelt. War die vordigitale Welt poetischer als die heutige?

Nein, für uns ist das alles poetisch. Wir trennen das nicht. Es hat auch teilweise autobiografischen Charakter – das ist mein grauer VW, und dann hatten wir diesen Mercedes als Bandauto. Da gibt es humoristische Referenzen.

Aber auch Ernstes – wie die Fukushima bei Radio-Aktivität.

Ja, das hat der Pianist Ryuichi Sakamoto für uns ins Japanische übersetzt, wir kennen einander seit den 80er Jahren. Er hat eine Veranstaltung in Tokio organisiert und uns eingeladen, speziell für dieses Konzert haben wir den Text weiterentwickelt.

Zeigen sich durch den Ort Burgtheater theatrale Aspekte in der Musik?

Wir wissen natürlich, was die Burg ist. Aber es geht mehr darum, den Klang in diesem Sprechtheater zu spüren. Wir hören uns auch in den Raum hinein, beim zweiten Konzert ging das schon besser als beim ersten.

Da zahlt es sich aus, alle acht Konzerte zu hören.

Ich möchte auch einmal ein Konzert von uns hören! Natürlich gehe ich durch den Raum, wenn die Kollegen proben. Aber dann bin ich ja nicht dabei.

Rund um den Grammy wurde viel über den Einfluss von Kraftwerk auf die Popmusik geschrieben. Haben Sie damals eigentlich mitbekommen, wie wichtig das wurde?

Natürlich, wir haben ja auch überall live gespielt. Ich war in New York, war in einem Club, wo Afrika Bambaataa gespielt hat. Wir gingen ja auch in Underground-Clubs zum Tanzen. Zur Inspiration von Musikern untereinander. Und dass Musik aus Düsseldorf in der Industriestadt Detroit gehört wird, ist wahrscheinlicher als bei Musik aus Grönland.

Inzwischen sind ja, nach dem Niedergang der Industrie, viele ehemalige Industrieräume in Düsseldorf von Kulturinstitutionen besiedelt.

Ja! Das war eine Monokultur aus Kohle und Stahl, das muss sich neu finden.

Damals war der Alltag in Düsseldorf dann sicher anders als heute?

Für uns war das die Stunde null. Wir haben immer in diesen Kunsträumen und Galerien gespielt, weil die die einzigen waren, die uns auftreten ließen. Dort konnten wir uns ohne Vorgaben entwickeln.

Kraftwerk war ja immer schon ein wenig neben dem Musikbetrieb, mit dem autonom geführten Kling-Klang-Studio…

Ja, und mit den visuellen Ideen! Mit den Wortschöpfungen – Kling Klang, Heimatklänge, Autobahn, Radio-Aktivität.

Das sind ja Sachen, die immer wieder neue Aktualität bekommen haben. Mobilität ist heute wahrscheinlich ein wichtigeres Thema als damals.

Uns hat immer Geschwindigkeit interessiert, nicht als Selbstzweck, als Vorbeirasen, sondern Bewegung, Dynamik, Kraftwerk, Musik aus Strom – auch im geistigen Sinne.

Schon seit Jahren sagen Sie in Interviews, dass "bald" ein neues Kraftwerk-Album kommt.

Ja, weil das immer gefragt wird. Natürlich machen wir ein neues Album. Wir haben so viel zu tun gehabt. Wir sind nur ein ganz kleiner Club. Das ist im Output mal schneller, mal langsamer. Jetzt habe ich das Gefühl: Es fängt gerade erst an.

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