Acht Mal Kraftwerk: Elektroklänge überall

Retrocharme auf der Autobahn in die vergangene Zukunft: Kraftwerk im Burgtheater
12345678: Nach acht Abenden findet man Wiederholung wertvoll und feine Unterschiede spannend

Am Schluss des letzten Konzertes hat Kraftwerk-Mastermind Ralf Hütter "Servus" gerufen; das hatte er schon mindestens vier Konzerte lang nicht gesagt!

Okay, das ist jetzt vielleicht keine Sensation. Aber nach acht Kraftwerk-Konzerten an vier Abenden fährt man auf der Musik-Autobahn mit interpretatorischem Tunnelblick: Hier geht es letztlich, darauf hat man sich zirka bei Konzert Nummer fünf ("Computerwelt") mit sich selbst geeinigt, um Differenz und Wiederholung. Um die maschinelle Macht der Wiederholung und das Menschliche an der kleinen Veränderung. Und da ist jede Kleinigkeit entscheidend und gleichgültig zugleich.

Oder zumindest glaubt man das bei der achten Fahrt über die "Autobahn" (falls Sie sich fragen: bei der siebten Fahrt, im vorletzten Konzert, gab es die lange Version der 3D-Visuals, bei der der Kraftwerk-VW-Käfer am Ende die Aufahrt nimmt. Die Version gab es an acht Abenden nur zwei Mal.)

Es waren acht Abende feiner Unterschiede. Acht Abende mit einem Übermaß an Wiederholung, wie es sonst nur die Musik von Philip Glass oder Steve Reich kennt. Acht Abende mit einer legendären Band, die in einer Art musealer Musik-Installation ein Werk wiederbesucht (und dabei zugleich permanent updatet), das den Klang des Pop entscheidend prägte.

Seltsam

Acht Abende, für die die journalistische Chronistenpflicht ein willkommener Grund (Vorwand) war: Alle oder keinen! (Die Ankündigung, sich alle acht Konzerte anzusehen, war übrigens ein Garant für sorgenvolle Blicke, nicht zuletzt auch in der Redaktion. Dabei hat es sich als sinnvoll herausgestellt, nicht dazu zu sagen, dass es eigentlich ein Konzert ist, das man sich acht Mal ansieht, wenn auch mit jeweils unterschiedlichen Vorspielen. Die Menschen halten einen so schnell für seltsam!)

Im Burgtheater war also im Rahmen der Wiener Festwochen von Donnerstag bis Sonntag maschinelle Musikproduktion angesagt: Kraftwerk haben ihren "Katalog" aus acht kanonisierten Alben präsentiert; dazu jeweils die größten Hits. Die Alben, und das realisierten viele Fans erst vor Ort, wurden weniger gespielt als nur in mehr oder weniger ausführlichen Auszügen wiederbesucht; sie dienten dabei jeweils eher der Kontextualisierung des Nachfolgenden, als dass sie in voller Ausführlichkeit nacherzählt wurden. (Unter uns: bei einigem des nicht Gespielten machte das auch gar nichts; um anderes war es schade.)

Das hieß: Gute drei Viertel der Show waren, mit marginalen Unterschieden in der Setlist, fast ident. Das kann man mögen, kann man aber auch ärgerlich finden. Und hier sind wir im Kern der Sache, nämlich im Kern dessen, was die Deutschen zum prägendsten Popmusikexport machte: In der so prophetischen wie fantastisch seltsamen Ästhetik rund um Mensch-Maschine, Roboter, Computerwelt und Bewegung. Wenn die Mensch-Maschine spielt, was sollte anderes herauskommen als gleichförmige Konzerte?

Präzise

Diese erschienen jedenfalls bald als Hochfeiertage der elektronischen Musik: "Elektroklänge überall". Von Autobahn über Radio-Aktivität über Trans Europa Express über Mensch-Maschine über Computerwelt über Techno Pop über den Mix bis hin zu Tour de France. Acht präzise pünktlich beginnende, präzise gleichförmig ablaufende, präzise mit (fast, siehe oben!) dem gleichen Abschiedsgruß endende Konzerte, die sich spätestens zur Halbzeit als popkulturelles Ritual etabliert hatten: 12345678 Mal landete das "Spacelab" vor dem Burgtheater, 12345678 Mal wunderte man sich über die Aktualität von "Computerwelt" ("FBI und Scotland Yard... haben unsere Daten da", bitte: 1981 entstanden!), 12345678 Mal freute man sich am Spagat zwischen Retrocharme und Zukunftsvision.

Natürlich blieb mitten drin dann auch genügend Zeit zum Sinnieren. Darüber, was die eigentlich hinter ihren Pulten machen. Über die feinen Unterschiede nicht zuletzt auch bei den Publikumsreaktionen: Diese reichten bei den verschiedenen Ausgaben des Konzerts von gediegenem Hochkulturpublikumapplaus zu euphorischen Standing Ovations.

Sinnieren auch darüber, ob es wirklich eine gute Idee war, sich alle acht Konzerte anzusehen. Spätestens beim Fünften hätte man schon vor Beginn des Songs viele Wetten gewonnen, welcher als nächstes kommt. Verlässlich fand sich jedes Konzert eine Handvoll Fans, die den Handyblitz nicht unter Kontrolle hatten. Verlässlich auch: Bei der Roboterstimmen-Ankündigung, dass nun die "Mensch-Maschine" zu erleben sei, hat jedes Mal irgendjemand zum Sitznachbarn geraunt, dass das nicht stimmt, weil doch jetzt ein anderes Album dran war.

Aber, auch wenn man jetzt für eine Weile nicht wieder die gleichen Visuals sehen will:

Acht Mal Kraftwerk? Jederzeit wieder.

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