"Wie fragil die Demokratie ist"

Die Rachegöttinnen: Andrea Wenzl, Sarah Viktoria Frick, Barbara Petritsch, Irina Sulaver, Caroline Peters, Maria Happel, Aenne Schwarz
Burgtheaterdirektorin Karin Bergmann und Chefdramaturg Klaus Missbach über die "Orestie", den "Jedermann" von Ferdinand Schmalz und nächste Projekte.

KURIER: Im Oktober 2014, nach Ihrer definitiven Bestellung zur Direktorin bis zum Sommer 2019, sagten Sie, Sie sehen das Burgtheater als "ein Weltentheater", das sich an "epochale Stoffe" wie die "Orestie", die Nibelungen oder einen neuen "Jedermann" wagen solle. Warum überhaupt die "Orestie" von Aischylos?

Karin Bergmann: Ich habe eine Schwäche für große, mythische Stoffe. Und die "Orestie", 458 vor Christus geschrieben, ist auch nach Jahrtausenden so stark, dass es sich lohnt, sie auf die große Bühne zu bringen. Sie behandelt ein leider zeitloses Thema: Es gibt immer noch Blutrache und Zwistigkeiten, die dazu führen, dass sich Menschen und Völker erschlagen. Die "Orestie" endet zumindest mit einer Hoffnung. Denn es tritt jemand auf, der sagt: "Eure Schuld ist zwar riesengroß, aber ich maße mir nicht wie ein Gott an, Euch zu verurteilen. Sondern wir brauchen so etwas wie eine Rechtsprechung, einen Richterspruch des Volkes." Hoch interessant finde ich auch, dass es bereits in der "Orestie" heißt: "Eure Götter sind Erfolg, Macht und Karriere."

Die "Orestie" hat heute, Samstag, im Burgtheater Premiere. Wie sind Sie, Herr Missbach, bei der Bearbeitung vorgegangen? Diese Trilogie, ziemlich umfangreich, ist ja kaum an einem Abend zu bewältigen.

Klaus Missbach: Ich würde nicht sagen, dass es sich um eine Bearbeitung handelt. Peter Stein hat sich wohl am genauesten mit dem Originaltext von Aischylos und den verschiedenen Überlieferungen auseinandergesetzt. Wir spielen seine Übersetzung – allerdings mit deutlichen Strichen. Die Aufführung dauert daher bei uns nur knapp zweieinhalb Stunden, aber alle wichtigen Handlungsträger sind dabei.

Samt und sonders von Frauen verkörpert: Maria Happel,Sarah Viktoria Frick, Caroline Peters, Aenne Schwarz, Barbara Petritsch, Irina Sulaver und Andrea Wenzl bilden einen Chor.

Missbach: Bei Aischylos waren – wie später bei Shakespeare – alle Spieler Männer. Und nun sind es eben sieben starke Frauen.

Bergmann: Mir war wichtig, für die Inszenierung dieses Stoffes nicht auf einen der "Regietitanen" zuzugehen...

Wie eben Peter Stein...

Bergmann: Genau. Sondern jemanden zu beauftragen, der einer ganz anderen Generation angehört – und seine eigene Sichtweise auf diesen Stoff hat. Antú Romero Nunes, geboren 1983 in Tübingen, traf die Entscheidung, die Geschichte aus der Perspektive der Erinnyen, der Rachegöttinnen, zu erzählen, die sich zum Schluss in die Eumeniden, die Wohlmeinenden, verwandeln. Das ist natürlich sehr speziell. Und ein großes Abenteuer.

Gibt es für Sie einen Konnex zu "Ein europäisches Abendmahl"? In diesem Szenenreigen, Ende Jänner im Akademietheater uraufgeführt, erzählen Frauen, verkörpert von sechs Schauspielerinnen, nacheinander ihre Geschichten.

Bergmann: Ja. Aus meinem Faible für Antike ist unser Gesamtspielplan entstanden: Wir ergänzen die "Orestie" mit den "Persern", ebenfalls von Aischylos, in der Regie von Michael Thalheimer (Premiere am 20. Mai im Akademietheater) und unter dem Titel "Platons Party" mit zwei Dialogen von Platon (Premiere am 25. März im Kasino Schwarzenbergplatz). Letztlich ist auch die Idee des "Europäischen Abendmahls", von Klaus Missbach mit Regisseurin Barbara Frey entwickelt, aus der Beschäftigung mit der Antike entstanden.

Missbach: Interessanterweise beziehen sich die Figuren im "Europäischen Abendmahl" auf unterschiedliche Art und Weise auf die Demokratie und ihren Ursprung im alten Griechenland. Wir haben das den beteiligten Autorinnen nicht als Aufgabe vorgegeben, aber in den Texten taucht das bei allen auf.

In der Türkei tritt man die Demokratie mit Füßen, unliebsame Richter wurden zu Tausenden ausgetauscht. Wird es in der "Orestie" Anspielungen auf die gegenwärtige Situation in Europa geben?

Bergmann: Der Regisseur zeigt sehr klar, wie fragil die Demokratie ist – beziehungsweise, dass es starke Gegenbewegungen gibt.

Missbach: Eine solche Sichtweise auf den Stoff hätte es noch vor wenigen Jahren sicher nicht gegeben.

Bergmann: Es gibt aber keine dezidiert aktuellen, politischen Bezüge oder Konkretisierungen, die Bühne ist ein abstrakter Verhandlungsraum.

Klingt ein wenig spröde. Glauben Sie, damit das Burgtheater füllen zu können?

Bergmann: Die Frage, ob ich mit einer Inszenierung die Quote erreiche, versuche ich mir generell nicht zu stellen. Sonst fange ich an, mich einzuengen. Und bin paralysiert. Natürlich ist es leichter, "Diener zweier Herren" oder "Pension Schöller" zu spielen. Aber ich bin optimistisch. Unsere "Antigone" ist hervorragend besucht, wir haben sie bereits 50 Mal gespielt.

Durch einen Trick wurden die Auslastungszahlen in der Vergangenheit um drei Prozent beschönigt. Wann wurde damit begonnen? Mit der Ausgliederung 1999? Oder erst später?

Bergmann: Ich weiß es nicht. Aber ich werde nochmals nachfragen.

Ehrlich gerechnet kam das Burgtheater in der letzten Saison auf 76,1 Prozent. Schmerzt das Ergebnis?

Bergmann: Es schmerzt mich jeder Besucher, der nicht kommt. Die Auslastung finde ich dennoch hoch zufriedenstellend. Wir bieten immerhin jeden Tag nahezu 2.000 Plätze im Burg- und Akademietheater und im Kasino an. Meine Kollegen in Deutschland staunen nur so über unsere Zahlen. In den großen deutschen Theatern jubelt man bei einem weit geringeren Platzangebot bereits über 74 Prozent.

Wie läuft diese Saison?

Bergmann: Ähnlich. Einnahmentechnisch werden wir immer besser – weil wir die Preise anheben mussten. Ich finde es aber nicht richtig, das alle zwei Jahre zu machen. Denn es führt dazu, dass sich etliche Menschen den Theaterbesuch nicht mehr so oft leisten können oder wollen. Mir ist wichtig, nach wie vor günstige Karten anbieten können – zum Beispiel für Studierende.

Angekündigt haben Sie letztes Jahr auch einen neuen "Jedermann", geschrieben von Ferdinand Schmalz. Wie weit ist das Projekt gediehen?

Bergmann: Seit einigen Wochen liegt die erste Fassung vor. Wir beide sind ziemlich angetan. Schmalz holt die wesentlichen Themen ins Heute.

Missbach: Er hält sich sehr eng an die Vorlage Hugo von Hofmannsthals, an sein Figurenpersonal.

Bergmann: Das Stück ist dennoch ein echter Ferdinand Schmalz: frappant, spannend und vergnüglich.

Zum Schluss stellt sich Jedermann Gottes Gericht. Wie hält Schmalz es mit der Religion?

Missbach: Ganz fertig ist das Stück noch nicht. Aber so viel kann man jetzt schon sagen: Der Mammon spielt natürlich eine zentrale Rolle.

Ende April werden Sie, Frau Bergmann, Ihren Spielplan für 2017/’18 vorstellen. Können Sie schon jetzt etwas ankündigen? Zum Beispiel die Umsetzung des Flaubert-Romans "Bouvard und Pécuchet" in der Regie von Jan Bosse?

Bergmann: Dieses Projekt haben wir vorerst auf Eis gelegt. Es war aber, denke ich, die richtige Entscheidung, aktuell "Die Welt im Rücken" von Thomas Melle zu machen.

Wird Birgit Minichmayr ganz zurückkehren?

Bergmann: Sie spielt in "Carol Reed" von René Pollesch mit (Uraufführung am 28. April). Und in der nächsten Saison wird sie bei einem weiteren großen Projekt mitmachen. Für mich ist Birgit ohnedies immer da, denn sie spielt die Hedda Gabler und die Gunhild in "John Gabriel Borkman". Beide Produktionen bleiben im Repertoire.

Kulturminister Thomas Drozda wird noch in diesem Frühjahr die Burgtheater-Direktion ab dem Herbst 2019 ausschreiben. Wie sieht es nun aus? Können Sie sich eine Vertragsverlängerung vorstellen?

Bergmann: Sie wissen natürlich, dass Sie keine Antwort kriegen werden. Denn zuerst würde ich den Minister und das Ensemble informieren – egal, wie meine Entscheidung ausfällt.

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