Wie die USA die Welt sehen

Wie die USA die Welt sehen
In der sich neu ordnenden Welt lohnt ein Blick in eines der bedeutendsten Werke des Außenpolitik-Experten Walter Russel Mead.

Völlig unabhängig davon, wer ab kommendem Jahr im Weißen Haus sitzt – die außenpolitischen Herausforderungen für die USA sind angesichts der Kriege und Krisen und der geopolitischen Neuordnung gewaltig. Doch wie funktioniert die außenpolitische Denkweise in Washington? Welche Denkschulen gibt es? Hier lohnt sich ein Blick in Walter Russel Meads Buch „Special Providence“ – wörtlich übersetzt mit „besondere Vorsehung“.

Tatsächlich bezieht sich der Titel auf ein Zitat Otto von Bismarcks: „God has a special providence for fools, drunks and the United States of America“ – „Narren, Betrunkene und die Vereinigten Staaten von Amerika haben einen Schutzengel.“ Das Buch, knapp vor dem 11. September 2001 geschrieben, umreißt vier Denkschulen der US-Außenpolitik: Hamiltonier, Wilsonianer, Jeffersonianer und Jacksonianer.

Die Anhänger des Gründervaters Alexander Hamilton hätten seit jeher versucht, die Expansion einer dynamischen Volkswirtschaft zu fördern. Sie setzten sich für die Globalisierung ein und suchten Verbündete, um eine „internationale Rechts- und Finanzordnung“ zu schaffen.

Wilsonianer hingegen würden danach streben, die Welt zu missionieren. Nicht im religiösen Sinne, sondern in jenem der Demokratie. Internationale Institutionen sollten geschaffen werden, um Kriege zu verhindern.

Im Gegensatz dazu seien die Jeffersonianer mehr nach innen gekehrt: Freiheit im eigenen Land, keine große Armee, die wiederum hohe Steuern erforderlich machen – und so die Freiheit der Bürger bedrohen würde.

Jacksonianer wiederum seien misstrauisch gegenüber Eliten, „instinktiv demokratisch und populistisch“ – und skeptisch gegenüber der Idee einer stabilen Weltordnung. Starke Streitkräfte sind nach dieser Denkschule notwendig, allerdings nur, wenn es im Hinblick auf die Sicherheit der USA absolut notwendig ist. Dann jedoch sei deren Einsatz mit aller Macht durchzuführen.

Konstruktiver Konsens

Ein Blick auf den derzeitigen Präsidentschaftswahlkampf reicht, um zu sehen, dass Meads Definitionen nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben. Gleichzeitig ist das Buch eine Erinnerung daran, dass die US-Politiker schon früher massive Differenzen in Bezug auf die außenpolitische Ausrichtung ihres Landes hatten.

Durch den ständigen Wettbewerb der Denkschulen sei man öfter zu einem konstruktiven Konsens gekommen als in eine – ebenfalls mögliche – Sackgasse.

Etwas weniger zum Tragen kommt jedoch ein wichtiger Faktor in der Geopolitik: die geografische Lage der USA, die ebenso ihren Anteil daran hat, dass die Vereinigten Staaten das 20. Jahrhundert so dermaßen dominiert haben.

Das fehlgeschlagene Attentat auf Donald Trump gibt den USA laut Mead, der für das Wall Street Journal als Kolumnist tätig ist, einen kräftigen „jacksonischen Schub“. Dieser war freilich schon zuvor da: „Die Kluft zwischen den Vorhersagen des (hamiltonischen und wilsonischen) Establishments, wohin sich die Welt entwickeln würde, und der Realität, öffnete eine Kluft, die es Trump ermöglichte, zu kandidieren und zu sagen, der Kaiser habe keine Kleider“, sagte Mead bereits 2018.

Wie die USA die Welt sehen

Walter Russel Mead: „Special Providence“, Routledge, 400 Seiten, 18 Euro

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