Wie die Jungen fernsehen: Streaming auf dem Second Screen

US-Zahlen: 99 Prozent der jungen Seher machen während des Fernsehens etwas anderes

In den Nostalgiebüchern über die 2010er Jahre wird es nicht um Wickie, Slime und Paiper gehen, sondern um (vielleicht) die EU, die große Koalition – und mit sehr guter Wahrscheinlichkeit um das Fernsehen.

Denn nach der Telefonie und dem Nachrichtenkonsum steht derzeit die gute, alte Television im Fokus des digitalen Erneuerungssturms: Es wächst eine Generation heran, für die das gemeinsame (!) Sitzen vor einem TV-Apparat (!), um sich dort eine von jemandem anderen geplante (!) Sendung anzusehen, etwas ist, das nur noch die Elterngeneration macht.

Wetten, dass das das Ende vieler TV-Formate bedeutet?

Zweitmedium

Für die Unter-30-Jährigen in den USA wird Fernsehen gerade zu einem Nebenbei-Medium, das man wenn, dann intensiv nützt. 99 Prozent (kein Fehler!) der Unter-30-Jährigen geben in einer aktuellen Deloitte-Untersuchung an, neben dem Fernsehen andere Dinge zu tun. Und zwar all das, was man so am Smartphone macht (Chat-Dienste wie WhatsApp, Sozialmedien, Web-Surfen).

Und "Fernsehen", das zeigen diese jüngsten, von Variety zitierten US-Zahlen aus einer Befragung von 2131 Amerikanern im November 2016, heißt immer mehr: Streaming von TV-Serien. Fast 50 Prozent aller US-Konsumenten haben bereits einen Streamingdienst abonniert. Nachrichten hingegen kommen aus Facebook, Unterhaltung von YouTube.

Komaschauen

Und die Serien werden in großen Dosen am Stück konsumiert: 40 Prozent der Unter-30-Jährigen in Nordamerika legen regelmäßig eine Fernsehsitzung ein, bei der sie sechs Folgen bzw. fünf Stunden Serienkonsum abarbeiten. 90 Prozent der Unter-30-Jährigen geben an, zumindest eine derartige "Binge-Watching"-Sitzung absolviert zu haben.

Auch der TV-Apparat verliert an Bedeutung: Bereits die Hälfte des Konsums wird von den Unter-30-Jährigen auf anderen Geräten als dem Fernsehapparat absolviert, also am Laptop, Handy oder Tablet.

Österreich ist anders

In Österreich ticken die Uhren, wie immer, anders, sprich: langsamer. Die TV-Sehdauer der Österreicher ist laut ORF mit durchschnittlich 178 Minuten pro Tag auf Rekordhöhe, Flat-TVs erlebten einen Boom, rund 4,6 Millionen Österreicher sehen pro Tag zumindest kurz fern. Aber auch hier zeichnet sich die genannte Entwicklung ab, sieht man sich die TV-Nutzung im Tagesverlauf an. Im Hauptabend – der Höhepunkt des Interesses – sehen 55 Prozent der Über-50-Jährigen in TV-Haushalten fern, aber nicht einmal 20 Prozent der 12- bis 29-Jährigen. Selbst die 30- bis 49-Jährigen zeigen mit 35 Prozent schon weniger Interesse.

Die neue Art fernzusehen wird auf vieles Auswirkungen haben – auf die Finanzierung von TV-Produktionen, auf Werbegelder und auf die Formate, die zu sehen sein werden. Es dürfte zumindest für einige Jahre, einen Bruch im TV-Publikum geben. So wird die ältere Generation u.a. viele Informationen aus den TV-Nachrichten holen, von denen die Jungen nicht verlässlich erreicht werden.

Hollywood, zuhause

Und, vielleicht überraschenderweise, hat die TV-Revolution auch große Auswirkungen auf das Kino: Denn junge Menschen wollen für viele Filme auch nicht mehr ins Kino gehen. Der durchschnittliche Kinobesucher ist älter als 40 Jahre.

Was die Jungen aber wollen, sind Filmpremieren für zuhause. Dagegen haben sich die großen Studios bisher gewehrt. Denn Filme werden zuerst im Kino, dann per DVD oder digitalem Verkauf und dann im Fernsehen verwertet. Diese Verwertungskette addiert sich auf die notwendigen Einnahmen.

Mit Heim-TV-Premieren würden die Kinoeinnahmen unter Druck geraten. Laut Variety wanken die Hollywood-Studios aber nun: Sechs der sieben großen wollen die Zeit zwischen der Kinopremiere und dem Streaming-Start zumindest verkürzen. Bisher sind es 70 bis 90 Tage nach dem Auslaufen des Filmes; nun sollen es bereits 17 Tage nach Filmstart sein. Ein Heim-Ticket könnte 30 bis 50 Dollar kosten. Und so lohnt sich der Flat-Screen wieder.

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