In dem Raum, in dem nun Vitrinen, Schautafeln und Fotos arrangiert sind, ist der Parkettboden noch derselbe wie vor 100 Jahren. Wenn die Dielen sprechen könnten, hätten sie unglaublich viel zu erzählen: An kaum einem Ort in Wien haftet so viel Kunstgeschichte wie am alten Haus in der Grünangergasse 1, wo man über abgewetzte Steintreppen in die „Galerie nächst St. Stephan“ emporsteigt.
Die Ausstellungsräume wurden am 20. November 1923 eröffnet – allerdings unter dem Namen „Neue Galerie“. Unter dem Gründer Otto Kallir – sein Tod am 30. 11. 1978 jährt sich morgen, Donnerstag – wurde daraus weit mehr als eine Kunsthandlung: Wiewohl bedingt durch Verfolgung und Vertreibung, gelang es dem umtriebigen Netzwerker, die Kunst der Wiener Moderne, allen voran Klimt, Schiele und Kokoschka, in den USA zu etablieren. Wenn Wiens Tourismus heute mit diesen Namen wirbt und wenn am Kunstmarkt Millionen für Werke dieser Künstler fließen, hat das direkt mit Kallirs Arbeit zu tun.
Kunst und Geschäft
Dass die beiden Ausstellungen, die diese Geschichte nun erzählen, von Kunsthändlern initiiert wurden, ist in gewisser Weise logisch: Kallir, der seinen Geburtsnamen „Otto Nirenstein“ 1933 zugunsten des hebräischen Namens seines Urgroßvaters aufgab, trennte nicht zwischen hehrer Kunst und Geschäft und hatte auch sonst wenig Berührungsängste.
Seinen Plan, Luftfahrtingenieur zu werden, konnte Kallir aufgrund antisemitischer Diskriminierungen nicht verfolgen. Das hinderte ihn aber nicht, aeronautische Gegenstände zu sammeln und im März 1932 die „Erste österreichische Luftpostausstellung“ in seinen Räumen zu zeigen. Im Folgemonat standen dann wieder Kokoschka und Schiele am Programm. Bereits 1935 bereitete Kallir schließlich seine Emigration vor – mit einer Auktion seiner Sammlung von Luftfahrt-Memorabilia, deren Erlös er bei einer Schweizer Bank anlegte.
In der Grünangergasse ist diese Chronologie mit zahlreichen Dokumenten nun bis 20. 1. ausgebreitet. Die Kunsthändler Wienerroither und Kohlbacher, die sich als internationale Händler für Kunst der Wiener Moderne in Kallirs Fußstapfen bewegen, zeigen in ihrer Galerie dazu exemplarische Werke – einige direkt aus Familienbesitz. Kallirs Enkelin Jane lieh der Schau auch Originalplakate, etwa zu einer Van Gogh-Ausstellung 1928.
Zwischen 1923 und Kallirs Emigration 1938 zeigte die Galerie in Wien 128 Ausstellungen. Im Exil gründete Kallir 1939 die „Galerie St. Etienne“ (frz. für „St. Stephan“) erst in Paris, später in New York. Die von Ronald Lauder begründete „Neue Galerie“ an New Yorks Fifth Avenue ist in seinem Gedenken benannt.
In Wien wurde die "Neue Galerie" 1954 als "Galerie St. Stephan" unter Führung des Dompredigers Otto Mauer zu einem Zentrum der Nachkriegsavantgarde. Wie derzeit eine Ausstellung im MAK zeigt, lieferte Mauers Mitarbeiterin Gertie Fröhlich dabei wichtige Impulse zu deren Programmgestaltung. Später wurde die Galerie von Oswald Oberhuber und von Rosemarie Schwarzwälder weiter geführt.
Die Galerie nächst St. Stephan/Rosemarie Schwarzwälder (Grünangergasse 1) zeigt ihre Würdigung bis 20. Jänner, Wienerroither & Kohlbacher (Strauchgasse 2) die ihrige bis 2. Februar. Der Eintritt in die Ausstellungen ist frei.
Schiele und Walt Disney
Nicht minder interessant ist aber die Geschichte nach der Emigration: 1938 hatte Kallir die Galerie seiner Mitarbeiterin Vita Künstler überschrieben. Sie führte das Unternehmen auch während der NS-Zeit und blieb später an Bord, als Kallir von New York aus operierte und wichtige Klimt- und Schiele-Werke in US-Museen platzierte.
Die Galerie agierte dennoch weiterhin in Österreich: Gleich nach dem Krieg kooperierte sie mit der ÖVP-nahen „Österreichischen Kulturvereinigung“, später mit der französischen Militärregierung und dem „United States Information Service“. Mit dessen Förderung fädelte Kallir 1949 etwa eine Ausstellung von Originalzeichnungen Walt Disneys ein. In den ausgestellten Dokumenten sind die gezeigten Werke so säuberlich aufgeführt wie Schiele-Aquarelle: „6 Zwerge, 5 Häschen, 2 Waschbären“.
Kommentare