Werner Herzog: "Zum Glück träume ich nicht"

Werner Herzog: "Zum Glück träume ich nicht"
Werner Herzog hat einen bewegenden 3-D-Film über die ältesten Höhlenmalereien der Welt gemacht. Ein Gespräch.

Man geht auf seine Internet-Seite und liest den Zählerstand ab: 57 steht da am Ticker. 57 Filme hat Werner Herzog in seinem Leben gemacht. "Ich wusste nie, wie viele es genau sind, bis mein Bruder angefangen hat zu zählen", sagt der 69-Jährige und fügt nicht unstolz hinzu: "Allein heuer kommen sechs Filme heraus. Ich weiß nicht, ob die schon gezählt sind." Unter den sechs neuen Filmen findet sich auch seine faszinierende Doku "Höhle der vergessenen Träume", die ab Freitag bei uns ins Kino kommt. Und die weiteren fünf? Das ist "Death Row", eine spektakuläre US-TV-Serie über Menschen in der Todeszelle, plus Kinofilm zum selben Thema. Bei dessen Schnitt, so erzählt er, hätten sein Cutter und er nach Jahren wieder zu rauchen begonnen. Derart intensiv sei das Material gewesen. Ja, Werner Herzog ist ein Extremist des Kinos.

Folgerichtig kann man bei einem Interview mit ihm über alles reden. Schnell ist der nüchterne Raum des Berliner Hotel Adlon erfüllt von Begegnungen mit Eichhörnchen (davon später), von Kannibalismus oder Träumen. Werner Herzog, ist ein Geschichtenerfinder, ein Weltenwandler im Film wie im Interview. Immer wieder taucht im Gespräch seine Kindheit in einem Bergdorf Bayerns auf. Wo er das Lesen mit "Winnie Pooh" entdeckte, bis heute ein Lieblingsbuch. Es kam in einem Carepaket "und steckte neben dem Maismehl". Seine Mutter las es ihm und "12 bis 14 zusammengedrängten Dorfkindern vor". Bis zum Alter von 11 wusste er auch nichts von der Existenz des Kinos.
Mit Werken wie "Stroszek" (1976) oder der legendären Zusammenarbeit mit Klaus Kinski ("Aguirre - der Zorn Gottes, 1972; "Fitzcarraldo", 1982) hat er später Filmgeschichte geschrieben. Damals ließ er für die Dreharbeiten ein ganzes Schiff über einen Berg ziehen. Mehr noch als Spielfilme prägt sein Werk aber das Dokumentarische. Zuletzt machte der "Grizzly Man" (2005) Furore: Über einen kanadischen Tierschützer, der bei Videoaufnahmen von Bären von einem solchen angefallen und aufgefressen wurde.
In den USA, wo er lebt, ist Werner Herzog längst eine Kultfigur. Er hatte einen Gastauftritt bei den "Simpsons: "Wenn man das schafft, ist
es die Apotheose". Mit strengem deutschen Akzent tritt er auch immer wieder als Schauspieler auf. Tom Cruise etwa hat ihn sich für seinen nächsten Thriller "One Shot" als Bösewicht gewünscht: "...weil ich schon unheimlich aussehe, bevor ich den Mund aufmache".

Auch in seinen Dokumentarfilmen macht er gerne und gut den Mund auf: Durch die "Höhle der vergessenen Träume" führt Herzog wieder selbst. Der Film befasst sich - so scheint es - mit einem sperrigen Thema: 30.000 Jahre alte Höhlenmalereien, den ältesten der Welt. 1994 wurden sie in der bis dahin verschütteten, französischen Chauvet-Höhle entdeckt. Es ist ein Film über die Geburt der Kunst aus einer Zeit, als der Homo sapiens gerade geboren war, der Neandertaler noch lebte. Eine Zeit der Höhlenbären und Eiszeitlöwen. Herzog: "Als ich zum ersten Mal in der Höhle war, bin ich in so ein Staunen hineingeraten und dachte: Der Film wird in 3-D gedreht, no matter what! Auch wenn es schwierig wird. Dieses Staunen muss sich auf das Publikum übertragen." Auch wenn es schwierig wird: Herzog hatte unter strengsten Vorschriften nur drei Gelegenheiten, in der Höhle zu filmen, die vor der Öffentlichkeit ansonsten gänzlich verschlossen ist. Das ganze in 3-D-Technik, obwohl er in seinem Leben nur einen einzigen 3-D-Film gesehen hatte: "Avatar".
"Ich habe versucht zu verstehen, welche Fehler in 3-D gemacht werden. Da werden noch viel zu schnelle, harte Schnitte gesetzt - wie im Actionfilm üblich. Die können wir aber von unserer Gehirnphysiologie her gar nicht nachvollziehen."
Bei seinem 3-D-Film ist das nicht so. Herzog spricht mit Wissenschaftlern, geht mit Parfumeuren dem Geruch der Höhle nach, lässt Steinzeit-Flöten spielen. Allein die Bilder in der Höhle, Signaturen des Künstlers (mit verkrümmtem Finger) sind magisch.
"...weil WIR das sind, WIR als kulturelle Wesen. Wir sehen uns, beobachten uns in der allerersten Phase des Menschseins. Wir haben aus dieser Zeit ja nur beschränkt wissenschaftliche Erkenntnisse. So wissen wir, dass auf Müllhaufen aus paläolithischer Zeit mit Küchenabfällen und abgenagten Knochen von Tieren auch Skelette von Säuglingen geworfen wurden. Aber Kinder, die drei Jahre alt waren, wurden bestattet. Schluss daraus könnte sein, dass Menschsein erst dann als solches empfunden wurde, sobald man gesprochen hat."

Werner Herzog: "Zum Glück träume ich nicht"

Werner Herzogs Lust am Schock zeigt sich immer wieder. Er genießt es, mit sonorer Stimme wie nebenbei Horrorgeschichten zu erzählen: Vom Neandertaler und Homo sapiens, die einander gejagt und gegessen haben. Vom Kannibalismus, "der offenbar zum Menschsein gehört." Vom Träumen und Albträumen der Wissenschaftler. Er selbst hat einmal zu Protokoll gegeben, dass er nie träumt. "Ja, stimmt. Ich glaube, da irren sich die Psychoanalytiker. Ich erkläre sie hiemit alle zu Hausdeppen! (lacht) . Tut mir wirklich leid: Aber ich bin der lebende Beweis, dass man nicht träumt. Zum Glück träume ich nicht, und zum Unglück träume ich nicht. Das kann ich beides sagen. Denn ich wache morgens auf und empfinde es als Defizit, dass ich nicht geträumt habe. Es ist ein Glück und Unglück zugleich".

Auch seine Filme erzählen immer von beiden und vor allem davon, wie wundersam Herzog, die Welt sieht. Seine Art, Fragen zu stellen, ist in seiner Direktheit unnachahmlich. Da stellt sich einem Journalisten schon die Frage, wie er das macht?

"Ich betreibe ja meine eigene Filmschule: Die Schurkenschule. Da sag` ich meinen Schülern immer: ,Bestimmte Sachen kann man nie auf einer Schule lernen. Das müsst ihr im Leben lernen. Lest, lest, lest, lest - wer nicht liest, wird nie ein Filmregisseur! Und arbeitet! Ohne elementare Erfahrungen kommt ihr im Leben als Regisseur nie weiter.` Ein Beispiel: Mein neuer Todeszellen-Film fängt mit einem Pastor an. Der kam an den Drehort und sagte: ,Schnell, in 40 Minuten muss ich im Todeshaus sein, um einen Delinquenten bei der Hinrichtung zu begleiten.` Ich hatte ihn vorher nie gesehen. Und er begann vor der Kamera wie ein TV-Prediger zu sprechen: Von einem gütigen Gott, von Vergebung, Paradies und herrlichen Schöpfungen der Natur - wie Rinder oder Eichhörnchen. Ich dachte mir: Das unterbreche ich jetzt und fragte ihn wie aus dem Nichts kommend: ,Erzählen Sie mir von einer Begegnung mit einem Eichhörnchen.` Sekunden später bricht er zusammen, fängt zu weinen an. Nirgends, auf keiner Schule, wird Ihnen jemand beibringen, dass Sie auf einmal eine Frage über eine Begegnung mit einem Eichhörnchen stellen."

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