Wenn große, starke Männer weinen: Gene Simmons in Wien

Wenn große,  starke Männer weinen: Gene Simmons  in Wien
Kritik: Ein Solo-Konzert ohne Solo-Songs: Der KISS-Bassist bot in Wien eine KISS-Show ohne KISS

Zum alten Gassenhauer „I Love It Loud“ bittet Gene Simmons „große, starke Männer“ zum Mitsingen auf die Bühne (die Damen durften schon vorher, bei „Do You Love Me“). Einer dieser Männer, ein Gebirge von einem Kerl, steht nachher hemmungslos schluchzend im Saal, überwältigt von dem Erlebnis, mit Gene Simmons ins selbe Mikrofon gekräht zu haben.

„What is my/charisma?“, wie es in einem anderen Song heißt. Vielleicht dieses: Gene Simmons, so leutselig er sich in Wien gibt, ist ein echter Rockstar.

Solotour

Derzeit spielt er mit seiner Stammband KISS die üblichen großen Sommerkonzerte, parallel dazu gönnt sich der Bassist und Sänger mit den gewagt gefärbten Haaren eine kleine, feine Solotour, die am Montag im nicht übermäßig prall gefüllten Gasometer Station machte.
Simmons, diesmal ohne Maske und Fledermauskostüm, stattdessen betont bodennah in Jeans, Hemd und Sonnenbrille gekleidet, eröffnet die Show mit „Deuce“, also mit einer klassischen KISS-Eröffnungsnummer.

In seiner Begleitung hat er drei genormt aussehende Gitarristen, die nicht nur ihre Arbeitsgeräte zu schwingen verstehen, sondern auch das können, was Gene Simmons’ Partner bei KISS, Paul Stanley, leider nicht mehr kann: So zu klingen wie Paul Stanley. Sprich, diese hohen, schluchzenden Krawattl-Tenor-Stimmen zu singen.

Besser, aber fader

Das Konzert klingt daher paradoxerweise besser als KISS und gleichzeitig fader, weil das Masken-Brimborium und die große Show, also der Hauch des Besonderen,  fehlen.

Zweiter Minuspunkt: Unbegreiflicherweise bringt Simmons, der über Solomaterial für zehn Konzerte verfügt, nur eine einzige Solonummer („Are You Ready?“). Der Rest ist, abgesehen von einem herrlich swingenden „Long Tall Sally“ und einem eher nach Proberaum-Spaß klingenden Rock-’n’-Roll-Jam, KISS-Material.

Immerhin erlaubt sich Simmons, ein paar Raritäten auszupacken, etwa „Charisma“ vom „Dynasty“-Album ,  „I“  vom völlig unterbewerteten  „The Elder“ und „Almost Human“ von „Love Gun“. Dass Simmons mit „Do You Love Me?“ eine Paul-Stanley-Nummer bringt, ist auch nicht ohne Witz. Ebenso witzig: Dass der Antialkoholiker Simmons nach wie vor besonders gern die Sauf-Hymne „Cold Gin“ seines KISS-Expartners, der Schnapsnase Ace Frehley, singt.

Der 1949 in Haifa geborene Sohn von ungarischen Juden, denen es gelang, der Shoa zu entkommen, erwies sich auch als blendender Entertainer, der sein Publikum in fließendem Deutsch („Morgen essen wir Apfelstrudel mit Kaffee und Schlag“) und Seitenhieben  auf Die Toten Hosen und Nena (vermutlich kennt er Helene Fischer noch nicht) bestens unterhielt.

Die Zugabe war dann das unvermeidliche „Rock ’n’ Roll All Nite“, das auch jedes KISS-Konzert beendet. Fazit: Für harte Fans ein großer Spaß.

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