In Museen und Kunsthäusern, die angesichts von Lockdowns und Tourismuseinbrüchen gerade händeringend versuchen, wieder Publikum in ihre „stillen Galerien“ zu bringen, rümpfen viele über diese Shows die Nase. Wenn man bedenkt, welch Aufwand nötig ist, um originale Kunstwerke in technisch bestausgestatteten Häusern zu präsentieren und zu vermitteln, ist der Affront auch verständlich: Für ein Ticket zu „Van Gogh Alive“ zahlen Erwachsene 25 €, Kinder und Jugendliche 17 €; deutlich mehr als etwa in der Albertina oder im KHM, wo ein Normalticket 16,90 bzw. 18 Euro kostet und der Eintritt für Unter 19-Jährige frei ist.
Die „Experience“besteht im Kern daraus, dass Gemälde von Van Gogh auf hallenhohe Leinwände projiziert werden – in Ausschnitten, die sich vervielfachen und einander überblenden. Manchmal werden die Bilder animiert: Dann bewegt sich eine Windmühle, oder Krähen fliegen auf einem Landschaftsgemälde umher. Dazu spielt Musik, der Raum ist – durch Masken schwach wahrnehmbar – mit einem Duft erfüllt, der an Omas Kleiderschrank erinnert. „Multisensorisch“ nennt das die Produktionsfirma.
Keine Ergänzung nötig
Man kann es auch „misstrauisch“ nennen: Denn der ganzen Unternehmung liegt der Verdacht zugrunde, dass „Kunst“ nur in Form einer Reizübersättigung zu vermitteln sei. Die Leistung, ein Bild mit eigenen Augen zu erkunden, mit Assoziationen anzureichern und somit selbst zu „vervollständigen“, scheint dem Publikum nicht zumutbar – davon, ein Werk im Zusammenhang mit eigenen Bildervorräten oder gar Bezügen aus der Kunstgeschichte zu sehen, sprechen wir dabei noch gar nicht. „Es ist Entertainment und nicht Kunst“, sagte Max Hollein, Direktor des New Yorker Metropolitan Museums, jüngst zum Wall Street Journal und gab damit wohl eine Mehrheitsmeinung unter Museumsprofis wieder.
Die Technologie für „immersive Erlebnisse“ sickert jedoch in den Alltag ein: Während Österreich mit seiner Dichte an historischen Bauten auch im Alltag kulturelle „Versenkung“ ermöglicht, sieht die Normalität in Asien oder in den USA anders aus. Als Mark Zuckerberg jüngst seine Visionen für das „Metaverse“, sein geplantes digitales Lebensumfeld, postulierte, war im Minutentakt das Schlagwort „immersiv“ zu hören. Auch „Kunst“ kam vor – in einer Version, die vergessen ließ, dass sich gute Kunst nicht mit Dekoration begnügt, ihre Möglichkeiten ständig neu austestet und sich im Dialog mit einem Davor und Danach begreift.
Die Van Gogh-Show in Stadlau ist demgegenüber eine Resteverwertung, die in einem Spiegelkabinett ihre traurige Vollendung findet: Zwischen Plastiksonnenblumen, die durch den Endloseffekt zu einem „Feld“ anwachsen, können Besucherinnen und Besucher hier ein Abschluss-Selfie machen – ein Abklatsch einer „immersiven“ Idee, für die die Künstlerin Yayoi Kusama schon 1965 Pionierarbeit leistete.
Künstlerinnen und Künstler sind auch bei der Nutzung multisensorischer Räume längst viel weiter – das Amsterdamer Studio Drift oder der Fotograf Edward Burtynsky sind nur zwei Beispiele.
Für das Publikum ist es hoch an der Zeit, zu unterscheiden, wo Innovation passiert und wo sie nur kommerziell nachgenutzt wird. Den eigenen Begriff von Kunst nachzuschärfen, wäre auch keine schlechte Idee. Von der Vorstellung, dass sie ganz ohne eigene Anstrengung zu haben ist, könnten wir uns ehrlicherweise verabschieden. Im Übrigen kann man Bilder in „stillen Galerien“ sehr wohl aus der Nähe betrachten.
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