Welser-Möst: "Das ist der pure Knochen"

Welser-Möst: "Das ist der pure Knochen"
Franz Welser-Möst über seine nächste Staatsopern-Premiere, eine neue Gesprächsreihe, Thielemanns "Ring"-Erfolg und Pereiras "Spielzeugladen".

Am 11. Dezember hat Janáceks "Aus einem Totenhaus" Premiere. Schon am Samstag startet die Dialogreihe "Positionslichter". Franz Welser-Möst, der Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper, im Gespräch.

KURIER: Herr Welser-Möst, Sie haben gerade eine Aufführungsserie von Janáceks "Katja Kabanova" dirigiert, dazu Wagners "Tannhäuser", und nun bereiten Sie die Premiere von Janáceks "Aus einem Totenhaus" vor. Mit "Katja" haben Sie einen Janácek-Zyklus eröffnet. Wird Janácek vom Publikum inzwischen angenommen?


Franz Welser-Möst: Wir haben da schon noch ein bisschen Arbeit vor uns. Man merkt im Orchester, das Stück hat sich gesetzt und jetzt spielt man damit. Das ist eine sehr lustvolle und befriedigende Sache, wenn das passiert. Ich würde mir wünschen, dass das Wiener Publikum Janácek noch mehr annimmt. Aber wie heißt es so schön: Steter Tropfen höhlt den Stein. Es gehen da viele Menschen hinein, die sagen: Na gut, ich habe das noch nie gehört. Aber ich habe noch keinen getroffen, der nachher enttäuscht war.

Hat sich Ihre Entscheidung, Janácek in tschechischer Sprache zu spielen, bewährt?
Ja, das finde ich schon. Wie Janácek gewisse Sachen musikalisch führt - gerade die Tenöre kommen bei ihm immer dran - das erschließt sich so besser. Und es gibt ja die Übertitelungsanlage an der Staatsoper. Musikalisch gesehen wird das Stück durch die tschechische Sprache und von der Klangmalererei und von der Symbolik her noch deutlicher. Außerdem ist die Wiener Staatsoper ein internationales Haus. Wir spielen auch Verdi und Mozart in Originalsprache. Warum also nicht auch Janácek? Und es ist ja so nahe: Die paar Kilometer von uns nach Tschechien, die werden wir wohl so auch noch schaffen.

Worin liegen bei "Aus einem Totenhaus" für Sie als Dirigent die Herausforderungen?
Was das Handwerkliche betrifft, sind in der "Katja" die Fallstricke mehr als bei "Aus einem Totenhaus". Aber die Instrumentierung ist beim "Totenhaus" noch extremer geschrieben als bei "Katja". Wie Janácek da Dinge auseinander zerrt - das ist schon eine Herausforderung. Das Faszinierende für mich ist, wie Janácek in diesem Werk immer mehr und mehr reduziert. Das ist fast die Methode Weberns, wenn man so will: Da ist fast kein Fleisch mehr am Knochen.
Das ist der pure Knochen. Selbst Leute, die das Stück gut kennen, werden ein bisschen überrascht sein. Aber das ist Teil der Methode des Ausdrucks. Im dritten Akt etwa gibt es etwa mehr als 100 Korrekturen, die wir gemacht haben. Wir sind auf den Original-Autografen zurückgegangen. Die dynamischen Bezeichnungen sind viel monotoner, als man gemeinhin kennt. Und die Instrumentierung ist vollkommen reduziert. Und somit hat der Knochen kein Fleisch mehr dran. Bei anderen Werken hat er nur kein Fett mehr dran. Das zeigt ja auch, wie sehr sich unsere Ohren ändern, dass wir diese Musik heute anders hören können, als wir sie noch vor 50 Jahren gehört hätten.

Janácek konnte diese Partitur seiner letzten Oper, ja nicht mehr vollenden. Es wurde bei diesem Werk immer herum experimentiert. Gehen Sie an dieses Stück anders heran, als an andere Janácek-Opern?
Ich gehe wirklich auf das zurück, was er geschrieben hat. Da ist nicht viel von einem Torso. Das Stück ist weitgehend komplementiert. Und selbst ein Torso an sich hat ja auch einen Ausdruckscharakter. Einen quasi-"Fidelio"-Schluss anzuhängen, wie man es früher gemacht hat, halte ich für komplett falsch. Denn worum geht es in Janáceks Werk? Es hat keine Handlung. Es ist vielmehr eine Reflexion über den Typus Mensch. Denn drei verschiedene Personen, erzählen, warum sie in dem Lager gelandet sind, nämlich, weil sie Menschen umgebracht haben. Janáceks Musik ist - wie immer in der slawischen Musik - eine zutiefst sehnsüchtige Musik. Janácek gewährt uns da Einblicke in die menschliche Psyche. Und da noch was drüber zu kleistern, empfinde ich als das Falsche.

Die Inszenierung stammt von Peter Konwitschny, hatte in Zürich Premiere und stieß auf höchst kontroversielle Reaktionen. Bei Konwitschny geht es um eine Sex-Gesellschaft in Frack und Smoking, es gibt kein Gefangenenlager, etc . . . Der richtige Zugang?
Ich glaube nicht, dass dieses Stück ein Stück ist, bei dem man sich zurücklehnen sollte, um einen netten Opernabend zu haben. Das ist ein Stück, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Wir haben uns für die Zusammenarbeit mit Konwitschny entschieden, bevor wir das Produkt aus Zürich gesehen haben. Ich wusste immer, dass Konwitschny einen sehr eigenen Zugang zu dem Werk haben würde. Es wird für Wien auch die eine oder andere Änderung geben. Ich finde, das Stück darf einen nicht kalt lassen, das gelingt Konwitschny. Er ist ein hochintelligenter Mensch. Natürlich wird es heftige Publikumsreaktionen geben. Das ist bei Konwitschny immer so. Aber, wie gesagt: Das ist kein netter Opernabend.

Werden Sie diesen Janácek-Zyklus auf CD oder DVD festhalten?
Nein. Das ist nicht vorgesehen. Das Geschäft ist ja so kurzfristig geworden. Es kann schon passieren, dass jemand sagt: Wir hätten das gerne. Aber geplant ist vorerst nichts.

Welser-Möst: "Das ist der pure Knochen"

Vor Kurzem wurde bekannt, dass Christian Thielemann an der Staatsoper "Hänsel und Gretel" dirigieren wird. Würde Sie das auch reizen?
Ich habe das schon gemacht und finde, es ist ein wunderbares Stück. Wenn Thielemann das dirigieren möchte, umso besser. Ich bin ja dankbar, dass nicht die erste Frage war: Wie geht es Ihnen mit dem "Ring" von Thielemann? (lacht) Was ich mir wünschen würde: Herrn Thielemann für 10 bis 15 Vorstellungen pro Jahr hier zu haben. Und wenn er "Hänsel und Gretel" dirigieren möchte - bitte gern. Und wenn es so weit kommt, kann es schon sein, dass ich dann die Wiederaufnahme dirigieren werde. Wer weiß? Ich habe es bereits in Cleveland gemacht . . .

Kam "Hänsel und Gretel" in Cleveland an?
Gemischt. Die Amerikaner haben da nicht so den Zugang. Für uns ist "Hänsel und Gretel" ein Begriff; in Amerika nicht so. (lacht) Ich habe da vielleicht zu europäisch gedacht.

Sie freuen sich also für Christian Thielemann und über seinen "Ring"-Erfolg?
Ich freue mich wirklich für das Haus. Natürlich ist das ein Erfolg für Christian Thielemann. Aber es ist auch ein Gesamterfolg für das Haus. Es gibt kein anderes Opernhaus, an dem das möglich wäre. Und das ist ja die Stärke der Wiener Staatsoper - mit dieser Besetzung noch dazu! Als Mitverantwortlicher für die Staatsoper kann ich mich nur sehr freuen, dass so etwas möglich ist. Es wäre unverantwortlich von mir, wenn ich versuchen würde, so etwas zu verhindern. Ich war derjenige, der ins Künstlerzimmer in den Musikverein spaziert ist und Thielemann gefragt hat. Das Einzige, was mir leid tut, ist, dass er nicht öfter hier dirigiert. Viele sagen: Naja, der "Ring", das ist doch ein Stück vom Chef. An diesem Haus darf es nicht so sein. Das macht das Einzigartige dieses Hauses aus: Dass es hier bei einem "Ring" eine Aufeinanderfolge von einem Thielemann, einem Welser-Möst, einem Peter Schneider etc. gibt. Und es wird auch noch andere, berühmte Dirigenten geben, die den "Ring" hier dirigieren werden.

Kirill Petrenko vielleicht?
Einen Kirill Petrenko würde ich hier jederzeit mit offenen Armen empfangen. Aber Gott sei dank gibt es wieder diese Fälle von Dirigenten, die nicht jeden Tag zwischen New York, Los Angeles und sonst wo herumjetten. Petrenko gehört dazu. Und das ist gut so. Aber er ist mehr als willkommen.

Und Mariss Jansons?
Ich kenne niemanden, der Mariss Jansons nicht liebt. Aber da geht es auch um seine Gesundheit - ich würde es mir jedenfalls wahnsinnig wünschen. Allein, dass bei einer "Katja"-Probe Mariss Jansons und Christian Thielemann zugehört haben, beweist doch den Stellenwert dieses Hauses. Genau so soll es sein. All diese Künstler sind in unserem Haus mehr als willkommen. Das habe ich schon in Zürich so gehalten. Wenn ein Harnoncourt in Zürich etwas machen wollte, war ich glücklich darüber und habe eben ein anderes Stück dirigiert. Weil es wichtiger war, dass ein Harnoncourt in Zürich präsent war. Wenn ein Mariss Jansons kommt und sagt: ich will hier eine "Salome" machen - perfekt. Dann dirigiere ich die "Salome" eben später.

Stichwort Zürich: Man kennt jetzt den Spielplan von Alexander Pereira für die Salzburger Festspiele im Detail. Ihr Kommentar?
Pereira hat einen großen, wunderschönen Spielzeugladen und er hat das schönste Spielzeug hervorgeholt. Was man im Vorhinein nicht sagen kann: Wie es mit der künstlerischen Exklusivität aussieht. Das werden die Aufführungen dann zeigen. Aber, um es positiv zu formulieren: Das hat so einen olympischen Gedanken, dass die Besten der Besten hinkommen.

Anderes Thema: Es gibt jetzt ORF III, bald ATV2. Beide Sender sind deklarierte Kultur-Kanäle. Sind Übertragungen oder Aufzeichnungen aus der Staatsoper geplant?
ATV2 wird ab Ostersonntag jeden Sonntag Opern zeigen. Warum sollte es da keine Übertragungen aus der Wiener Staatsoper geben? Ich hoffe das sehr. Fix ist, dass Arte den zweiten Akt der "Fledermaus" heuer live am 31. Dezember übertragen wird, später kommt die ganze "Fledermaus" im französischen und japanischen Fernsehen.

Warum nur den zweiten "Fledermaus"-Akt live auf Arte?
Weil es Teil eines Silvester-Neujahrsprogramms von Arte ist, das die Highlights um die Jahreswende aus der ganzen Welt zeigt. Und da ist Wien ganz prominent live dabei: Eben mit dem zweiten Akt der "Fledermaus" am 31. Dezember und mit dem Neujahrskonzert am 1. Jänner. Wir übertragen übrigens die gesamte "Fledermaus" auch auf den Karajan-Platz!

Sie selbst sind ab Samstag Gastgeber der neuen Diskussionsreihe "Positionslichter" im Gustav-Mahler-Saal. Ihre ersten Gäste sind Pavel Kohout und Paul Lendvai. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Vielleicht bin ich da etwas amerikanisch beeinflusst. Weil man dort mehr kämpfen muss um den Platz, den Kultur in der Gesellschaft einnimmt. Ein Haus wie die Wiener Staatsoper soll nicht nur künstlerisch, sondern auch intellektuell leuchten. Ich bin sehr glücklich, dass diese beiden Gäste zugesagt haben. Gerade in der heutigen Zeit muss man zu aktuellen Themen Position beziehen. Das wollen wir mit dieser Reihe machen. Die Ausrede: Ich bin Künstler. Der Rest geht mich nichts an - die lasse ich nicht gelten.

Welser-Möst: Janácek und Gespräche

Premiere
"Aus einem Totenhaus" wurde 1930 (zwei Jahre nach dem Tod des Komponisten) in Brünn uraufgeführt.

Produktion
Dirigent: Franz Welser-Möst. Inszenierung: Peter Konwitschny. Ausstattung: Johannes Leiacker. Mit u. a. : Sorin Coliban, Misha Didyk, Herbert Lippert, Christopher Maltman, Gergely Németi, Herwig Pecoraro . Premiere: 11. Dezember.

Positionslichter
Samstag, 11 Uhr, findet im Gustav-Mahler-Saal die erste von Franz Welser-Möst gestaltete Matinee der Reihe "Positionslichter" statt. Gesprächspartner sind Pavel Kohout und Prof. Paul Lendvai. Weitere Termine und Themen: Samstag, 5. Mai 2012: "Wie original ist der Wiener Klang?" Samstag, 2. Juni 2012: "Kirche: Freund oder Feind der Kunst?" Karten kosten acht Euro.

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