Ilse Aichinger, Ende 1921 geboren, überlebte das NS-Regime und die Judenverfolgung in Wien. Die prägenden Erlebnisse als Jugendliche – darunter die Deportation ihrer Großmutter wie der jüngeren Geschwister ihrer Mutter 1942 – verarbeitete sie unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs literarisch. Am 1. September 1945 erschien im KURIER die Kurzgeschichte „Das vierte Tor“, die, wie man aus dem sehr informativen Programmheft erfährt, als Vorstufe zum Kapitel „Das heilige Land“ in Aichingers Roman gilt. Diese Episode spielt auf einem Friedhof. Er war ein Rückzugsort für die Kinder, die von 1938 an nicht mehr in den Parks spielen durften.
Mit falschen Großeltern
In „Die größere Hoffnung“ erzählt Aichinger die von Hoffnung getragenen Ereignisse aus der Perspektive von Ellen, einer Schülerin, und deren Freunden. Sie verstehen die Zusammenhänge zwar nicht ganz, machen sich aber ihren Reim darauf. Sie waren eben Kinder, mit denen etwas nicht in Ordnung war. Und sie hatten die falschen Großeltern – zwei oder vielleicht gar vier.
Sara Ostertag deutet, wie Aichinger, vieles nur an, wird nie konkret und daher platt. Und ihre Umsetzung wird durch die extreme Verdichtung zu einer durchchoreografierten Performance. Auch wenn sieben Jahre verstreichen: Die Kinder bleiben bis zum Schluss die Kinder.
Es gibt auch keine echten Charaktere: Jede der vier Mädchen-Darstellerinnen – Laura Laufenberg, Caroline Baas, Julia Kreusch und Bettina Kerl – schlüpft einmal in die Rolle der Ellen. Lennart Preining und Tobias Artner ergänzen unter anderem als Buben, Michael Scherff als der Älteste im Ensemble spielt Herbert, den Jüngsten (man darf also zumindest einmal schmunzeln!), – und zudem die bestimmenden Erwachsenenfiguren.
Schon der Auftakt weist den Weg: Mira Lu Kovacs „sägt“ an den Saiten ihrer Gitarre, als sei diese eine Geige, und singt dazu „Summ, summ, summ, Bienchen summ herum“. Man denkt sogleich an „The Black Angel’s Death Song“ von John Cale und Velvet Underground, später wird man darin bestärkt. Der Tod schwebt immer über dem Geschehen. Und die Kinder setzen sich mit ihm spielerisch auseinander – darunter auch auf dem Friedhof.
Schiff und Schaukel
Nanna Neudeck hat für die Schauplätze eindringliche Bilder oder Metaphern gefunden. Die große Hoffnung ist zunächst ein gefaltetes Papierschiffchen im Riesenformat, das den Wiegebewegungen allerdings nicht standhält. Und die Matratzen der Sammelwohnungen werden flugs zu Grabsteinen. Dominiert wird die Bühne allerdings von einer zunächst verhüllten Schiffschaukel (aus 1948, dem Erscheinungsjahr von Aichingers Roman). Da nimmt Ostertags klare Inszenierung begeistert Schwung auf, dann wird Geburtstag gefeiert (Kovacs covert leise „Wie schön, dass du geboren bist“). Die Kinder klammern sich an die Idee auf Frieden – und stellen ein Krippenspiel nach. Doch die verzerrte E-Gitarre zu „Jingle Bells“ verkündet nichts Gutes. Der Stern, der Judenstern, bedeutet den Tod. Bedrückend großes Theater.
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