"Wer Privilegien gewohnt ist, empfindet Gleichheit als Unterdrückung": Es ist nicht leicht zu eruieren, wer diesen Spruch als erster gesagt hat, doch es ist leicht zu sehen, dass er sich in aktuellen Debatten zügig verbreitet. Wie sonst kann es sein, dass sich so viel Wehleidigkeit breitmacht, wenn es um Genderfragen, Fragen der Hautfarbe und der Herkunft, der sozialen Gerechtigkeit bis hin zum Verzicht im Dienste des Klimas geht. Die Trotzreaktion ist schnell zur Hand, wenn es darum geht, die Komfortzone zu verlassen: Darf man das jetzt AUCH nicht mehr sagen? Muss ich mich jetzt schämen, weil ein Mann bin, ein Auto fahre, Wohlstand ererbt habe, einer Mehrheitsgesellschaft angehöre ... oder WEISS bin?
Es ist dieser emotionale Bienenstock, in dem die südafrikanische Videokünstlerin Candice Breitz mit ihrem Video "Whiteface" umrührt. Die Arbeit, die beim Kremser Donaufestival ihre Österreich-Premiere feierte, ist bis 22. September 2024 zu sehen - anders als in Deutschland, wo Breitz' wegen Aussagen zum Gazakrieg kritisiert wurde, stand eine Absage hier nicht im Raum.
Das Prinzip der Videoinstallation ist schnell erklärt: Auf einem großen Bildschirm ist Breitz selbst zu sehen, die - mit hellem Hemd, Perücken, starren Kontaktlinsen und heller Schminke - noch etwas "weißer" wirkt als in Wirklichkeit. Manchmal tritt diese zombieähnliche Figur auch mehrfach im Bild auf. In jedem Fall "verkörpert" Breitz Statements von Personen, die sich mit der Situation von Weißen in der Gegenwart auseinandersetzen, sie spricht die - im Originalton belassenen - Statements auch lippensynchron mit.
Rechte Recken
Wer sich vom großen Schirm abwendet, sieht auf der Rückwand des Schauraums eine kleine Projektion mit den "Originalen", von denen die Statements stammen: Einige Personen, etwa den rechten US-Moderator und Putin-Interviewer Tucker Carlson oder den 2023 verstorbenen Fernsehprediger Pat Robertson wird das medienaffine Publikum vielleicht noch erkennen, bei anderen Protagonisten sind schon Tauchgänge ins Milieu von Verschwörungstheoretikern und Neuen Rechten nötig, die ihrerseits einige Influencer und Youtube-Stars hervorgebracht haben.
Der Tenor der Aussagen ist ähnlich: Der Mainstream hätte sich gegen Weiße, insbesondere weiße Männer, verschworen. Die Aggression weißer Männer sei eigentlich nur eine Reaktion darauf, dass sie sich heute in einer Opferrolle wiederfänden. Es gebe "verkehrten Rassismus", bei dem dunkelhäutige Menschen sich gegen Hellhäutige wenden würden. Und so weiter. Manche der Aussagen werden sensiblen Gemütern rasch als absurd aufstoßen, andere sind im Ton des "gesunden Hausverstandes" formuliert und vielleicht mehrheitsfähig: "Ich habe ja nichts gegen Schwarze, aber..."; "einige meiner besten Freunde sind Schwarze".
Nein, es ist nicht einfach ein umgedrehter Spieß
Breitz verzichtet darauf, zu kommentieren, ihre Mimikry zieht das Gesagte aber durchaus ins Clowneske - das Video ist immer wieder auch mit Einsprengseln versehen, die sich wiederholen, und erhält ein wenig den Charakter einer Nummernrevue. Wohl nicht zufällig: "Whiteface" ist schon als Begriff eine Umkehrung des Begriffs "Blackface", der aus der amerikanischen Minstrel-Tradition stammt. Bei diesen fahrenden Shows war es lange Zeit Standard, dass schwarz angemalte Weiße die Eigenheiten von Schwarzen zum Gaudium des Publikums nachäfften.
Wenn Breitz nun den Spiegel umkehrt, kommt aber nicht der von den Porträtierten so beklagte "umgekehrte Rassismus" ins Bild: Denn bekanntlich begegnen Schwarz und Weiß einander nicht auf einer Fläche, auf der das Machtgefälle eingeebnet ist. Das Video zeigt daher den Willen gewisser Personen, sich an Privilegien zu klammern, entblößt die Wehleidigkeit und wohl auch die Angst vor Statusverlust. Der Filmemacher Michael Moore (selbst ein weißer Mann) darf zwischendurch hineinrufen: "What are you afraid of?" ("Wovor fürchtet ihr euch?"). Und das Publikum darf diskutieren: Ja, wovor? Zur Schärfung der Sinne für Propaganda - und die eigene Anfälligkeit dafür - ist Breitz' Kremser Installation jedenfalls ein guter Trainingsplatz.
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