In den Brüdern William und Jim Reid, die eine toxische Beziehung pflegen, „Figuren des Übergangs“ zu sehen, ist gewagt. Aber immerhin: Sie gaben am Eröffnungsabend einen passablen Headliner ab – vornehmlich für Menschen jenseits der 50. Und Aliens waren ohnedies alle, die am Freitag zur großen Messe des kunstvollen Noise ins Messegelände pilgerten. Jedenfalls für jene, die nebenan ihre Regionalliga-Mannschaft gegen Draßburg anfeuerten. Was sich schon bald zeigte: Die Fußballfans hatten trotz eisiger Temperaturen und Nieselregen mehr Spaß – und wahrscheinlich mehr Bier. Denn das Catering beim Donaufestival ist ob der extrem langen Warterei eine Zumutung, die zur Konsumationsverweigerung bekehrt.
Ein Funkenregen
Am Platz fielen die Tore, in den Messehallen ging es zunächst spröde zu. Das Team um Eve Stainton, geboren in Manchester, schweißte in einem mit dunkler Plastikfolie verhüllten Quader an zwei Werktischen. Es brutzelte und gloste. Dann wurde geflext, die Funken sprühten.
Lang fragte man sich, was denn da entsteht. Aha, eckige S-Haken, die sich zu einer Kette verbinden lassen! Einer der fünf Schweißer-Menschen mutiert zum Gitarristen, der es schön krachen lässt. Die anderen vier, mit ihren Schutzhelmen und Cowboy-Versatzstücken coole Gestalten, bestreiten dann die rüde Choreografie „Impact Driver“. Die eine oder der andere wird an der Kette durch den Raum geschleift, es kreuzen sich die Bahnen der Paare, und nach einer Stunde verhaken sich auch die Menschenleiber.
Andernorts kombinierten Eglė Budvytytė und Marija Olšauskaitė eine zerhackte Elektronik-Sound-Collage mit einer Performance auf einem aus drei Trampolinen verschmolzenen Tanzboden. Zwei Tänzerinnen und Tomislav Feller (in einem Kettenhemd aus Sicherheitsnadeln) erwachen, wälzen sich in die Mitte, es folgen Berührungen. „Song Sing Soil“ – ohne einen einzigen Sprung! – sollte nach fast hymnischen Klängen traumverloren in der Stille enden. Was die grölenden Fußballfans aber torpedierten.
Eine Teufelsaustreibung
Bei Maria Chavez, Mariam Rezaei und Victoria Shen war von den Jubelgesängen über den Sieg nichts zu vernehmen: Die drei Frauen machten beim Scratchen mit selbst gebastelten Tonabnahme-Geräten einfach zu viel rhythmisierten Krach. Die Ankündigung versprach nicht zu viel: „Es knistert, knirscht, kratzt, birst, brutzelt und brennt.“ Diese Kunst nennt sich „Turntablism“. Muss man mögen. Wie auch die junge Doom Metal Band EARES aus Wien: „Es rattert, bollert, peitscht, grunzt und dröhnt“, liest man im Programmheft. Frontfrau Karolina Preuschl kauerte zu Beginn seitlich, dann rannte sie in die Mitte, goss sich Wasser über den Kopf – und ließ mit tiefer Stimme und höllischem Geschrei die Teufel aus sich heraus. Ein mächtiger Exorzismus quasi.
Und schließlich: The Jesus and Mary Chain. Von Noise-Attacken hielten die beiden Brüder nicht viel, bloß bei „Some Candy Talking“ wurde es zwischendurch infernalisch. Jim Reids Stimme klingt ohnedies schon verzerrt genug. Zum Quintett angewachsen, spielte die Band recht straight die herausragenden Songs ihres neuen Albums „Glasgow Eyes“, darunter die Rolling-Stones-Verehrung mit dem irreführenden Titel „The Eagles and The Beatles“. Und sie servierten so gut wie alle „Hits“, also „Sidewalking“, „Darklands“, „In a Hole“, „Just Like Honey“ und so weiter. William Reid beschränkte sich ganz aufs Gitarrespiel, der junge Schlagzeuger trieb die alten Herren mit der Peitsche an. Die letzte Nummer war zugleich die Zugabe: eine ausgedehnte, wunderbar zelebrierte Version von „Reverence“.
In eine arabische Nacht verzauberte schließlich die Elektronikmusikerin Deena Abdelwahed mit ihrem Kollegen Khalil Hentati. Der Weg nach Krems hat sich doch gelohnt.
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