„Wir haben in der Zwischenzeit gelernt, wie wir miteinander umgehen müssen, damit es nicht zu explosiven Streitereien kommt, erklärt Jim Reid im Interview mit dem KURIER. „Wir wissen, wann wir aufhören und uns aus dem Weg gehen müssen. Und wir wissen, dass The Jesus And Mary Chain ein guter Grund ist, es nicht mehr so weit kommen zu lassen. Wir feiern dieses Jahr unser 40er-Jubiläum und das ist schon unglaublich: Dass die Leute uns immer noch hören wollen, zeigt, dass unsere Musik Bedeutung hat.“
Das Bandleben funktioniert jetzt auch deshalb besser, weil William Reid in den USA lebt, Jim aber in England geblieben ist. „Wir haben auch keinen Druck mehr. Wir machen Alben, wenn wir das Gefühl haben, etwas sagen zu wollen. Wir schreiben die Songs auch nicht zusammen. Wir schicken sie einander, bevor wir ins Studio gehen, um sicherzustellen, dass ein Album einen roten Faden hat, und tragen im Studio ein wenig zu einem Lied des anderen bei.“
Eine Frage der Interpretation
Deshalb spricht Jim Reid nicht gerne über die Inhalte der Songs, er kennt die von William nicht gut genug. Der setzt sich zum Beispiel in „American Born“ mit seiner neuen Heimat auseinander und spielt in „Hey Lou Reid“ mit der phonetischen Namensgleichheit mit seinem Idol, der Underground-Ikone Lou Reed. Selbst seine eigenen Songs mag Jim nicht kommentieren: „Immer wenn ich irgendwo gelesen habe, was eines meiner Idole über eines meiner Lieblingslieder sagte, dachte ich, das ist komplett anders als in meiner Wahrnehmung, das hätte ich lieber nicht gewusst. Ich finde nicht, dass ich, nur weil ich einen Song geschrieben habe, entscheiden sollte, was er für andere bedeutet.“
Zum 40. Jubiläum gibt es aber nicht nur „Glasgow Eyes“ und die Tour, sondern auch die Biografie „Never Understood“, die im August erscheint. Darin arbeiten die Brüder vor allem die Jahre bis zum Split auf. Gibt es zu viele Gerüchte über die Streitigkeiten der beiden in den Anfangsjahren? Wollen sie damit klarstellen, was wirklich geschah?
Über nacht
„Nein, aber wir sind praktisch über nacht von unbekannten Musikern zu bekannten Stars geworden. Da gab es so viele Nächte, wo wir betrunken gestritten haben. Obwohl das damals für uns schwer zu ertragen war, ist das natürlich unterhaltsamerer Lesestoff als eine Beschreibung unseres heutigen Lebens. Dass ich am Strand spazieren gehe und dann zu Hause eine Tasse Tee trinke, interessiert niemanden. Einander zu verprügeln, während man besoffen und voll mit Kokain den Verstand verliert, ist mehr Rock ’n’ Roll.“
Die beiden wieder zusammengebracht haben die Mutter und die Schwester – nicht als Band, sondern als Brüder. „Meine Schwester bekam immer all die Anrufe, wenn wir auf Tour gestritten haben, egal ob wir in Japan oder Texas waren. Erst hat William bei ihr angerufen und erzählt, worüber wir stritten. Dann habe ich sie angerufen und es ihr aus meiner Perspektive erzählt. Und dann hat meine Mutter es so eingefädelt, dass wir beide zur gleichen Zeit zu Hause waren, ohne zu wissen, dass der andere auch da sein würde. Die meiste Zeit haben wir, um vor unserer Familie den Frieden zu bewahren, vorgetäuscht, zivilisiert miteinander umgehen zu können. Und irgendwann war es kein Vortäuschen mehr und wir konnten uns wieder vertragen.“
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