Warum wir verrückt nach dem Bösen sind

Warum wir verrückt nach dem Bösen sind
Ein Mordsspaß: Der gute alte Kriminalroman ist tot, die neuen Thriller brechen alle Tabus. Drei Praktiker über die schiefe Welt der Krimis.

Jeder Mensch ahnt, dass er auch böse ist. Krimis zu konsumieren ist zum Teil eine Suche nach sich selbst - nach den Teilen der Persönlichkeit, die im Dunkeln liegen." Also sprach der Gerichtspsychiater Reinhard Haller. Im österreichischen Buchhandel sind Krimis jedenfalls seit Jahren Topseller. Mit einem Umsatzanteil von aktuell 8,5 Prozent am Gesamtmarkt - Tendenz steigend.

Doch wie ist diese Faszination für das Verbrechen zu erklären? Haller: "Wenn der menschliche Wille frei ist, muss man sich auch für das Böse entscheiden können."
Die meisten Menschen lernen im Laufe ihres Lebens das Niederträchtige, Abgründige in sich zu beherrschen. Das gelingt nicht immer. Durch bestimmte äußere Umstände wie Belastungen, Kränkungen, Eifersucht oder Alkohol, kann das Böse in jedem hervorbrechen. Das genau ist ja die spannende Frage - sowohl für den Psychiater, als auch für den Krimileser: "Unter welchen Bedingungen verliert der Mensch die Kontrolle?"

Ende gut

Stimmt also die landläufige Redensart, dass in jedem von uns ein Mörder schlummert? "Nicht jeder kann einen anderen Menschen ermorden, aber wir alle können töten. In Notwehrsituationen, höchster Erregung oder in Form des autorisierten Bösen etwa in Kriegen", erklärt der Experte. Oft zeige sich das Verbrecherische bei den normalen Menschen von nebenan, die unauffällig und farblos durchs Leben gehen. Aber unterm Strich könne "niemand für sich ausschließen, fürchterliche Dinge zu tun".

Was die meisten Krimis gemeinsam haben, ist das gute Ende. "Letztlich hat der Mensch das Bedürfnis, dass das Gute siegt", erklärt Haller. Haller kennt das Böse gut. Als Gerichtspsychiater hat er bisher mit etwa 300 Mördern, unter ihnen der Briefbomber Franz Fuchs ("Ein Paradebeispiel für ein gekränktes Genie"), gesprochen. "Und täglich werden es mehr."

Was haben die Täter gemeinsam? "Wichtig ist zu unterscheiden, ob jemand krank oder böse ist. Oft töten Menschen aus einem Wahn heraus, oder schlagen im Vollrausch jemanden zusammen. Richtig gefährlich sind jedoch jene, die eine abnorme Persönlichkeit haben, ohne psychisch krank zu sein." Diese extremen Charaktere seien meist Menschen, die enorm gekränkt wurden. Gemeinsam mit dem verstärkten Bedürfnis zu beherrschen sowie fehlendem Einfühlungsvermögen entstehe ein tödlicher Mix.

Alles gut?

Das Extreme ist jedenfalls gut fürs Geschäft. In den letzten Jahrzehnten entwickelten sich die Krimis von klassischen Detektivromanen zu Geschichten, in denen vor allem die Leiche detailreich im Mittelpunkt steht. Der Autor Simon Beckett recherchierte auf der "Body Farm" der US-Universität Tennessee - einer Forschungseinrichtung, die unter natürlichen Bedingungen den Verwesungsprozess an Toten untersucht.

Haller: "Eine Überschreitung von Tabugrenzen findet gerade statt. Lange Zeit wollte man den Leser mit der Obduktion verschonen, jetzt gibt es eine eigenes Krimi-Genre dafür." Die brutalsten Geschichten schreibt allerdings das Leben. "Würde man einen Josef Fritzl oder Anders Breivik erfinden, würde sie der Verlag als verrückt und übertrieben ablehnen."

CSI-Fantasien: Drei Praktiker über die schiefe Welt der Krimis

Warum wir verrückt nach dem Bösen sind

Durch das Krimi-Lesen glauben unsere Klienten, dass Abhören und Ähnliches zu unserem Alltag gehört." Das sei in der Realität aber nicht möglich, erklärt Lukas Helmberger, der Präsident des Österreichischen Detektiv-Verbandes (ÖDV). Auch der verbissene Schnüffler auf Mörderjagd entspringt den Köpfen der Krimi-Autoren. "Unser Beruf ist ein Dienstleistungsjob, wie jeder andere auch. Wir werden nur dort tätig, wo uns jemand bezahlt."

Übliche Aufträge sind die Überwachung untreuer Ehepartner bzw. unehrlicher Mitarbeiter oder die Überprüfung von Bewerbern sowie das Aufstöbern zahlungsunwilliger Kunden.
Ebenso werde "der größere Teil der Polizeiarbeit - das zeitraubende Abklappern von Zeugen und das Überprüfen von Melderegistern" - in Krimis verschwiegen, sagt Susanne Reindl-Krauskopf, Professorin für Strafrecht und Kriminologie an der Uni Wien. Durch unschlagbare forensische Technik, bekannt etwa aus CSI Miami , habe man das Gefühl, Mordermittlungen wären ein Klacks. "Nicht jede Behörde hat Zugang zu solcher Technik."

Sie brauchen einen starken Magen: Die Mitarbeiter der Firma Goldgruber sind Tatortreiniger . In Schutzanzügen kämpfen die Steirer österreichweit gegen die Flecken des Todes an. Oft werden Tote erst nach Wochen gefunden. "Den Leichnam nimmt dann der Bestatter mit, der unschöne Rest bleibt zurück", erklärt Geschäftsführer Gottfried Goldgruber.
Herkömmliche Reinigungsmittel reichen für diese Art von Flecken nicht. Professionelle Desinfektion und die Beseitigung von Krankheitserregern sind Pflicht.

Mehr zum Thema

  • Hauptartikel

  • Hintergrund

Kommentare