Nun, im zweiten Jahr schon, scheinen zumindest bis nach der „Walküre“ alle glücklich zu sein, tun ja niemandem weh die Neudeutungen, es wird gejubelt (obwohl sich Schwarz freilich erst nach der „Götterdämmerung“ der Abstimmung durch das Publikum stellen wird). Der Proteststurm stellte sich in der Bierbrauerstadt Bayreuth als einer im Wasserglas heraus. Aber das war ja schon bei Chéreau oder auch zuletzt bei Frank Castorf so gewesen.
Gegen das Neue
Somit stellt sich die Frage, ob sich der Publikumsgeschmack derart rasch ändert – was kümmert mich mein Gebuhe von gestern? Ob die Regie gar nicht so wichtig ist, wenn toll gesungen wird? Oder ob vielleicht überhaupt zunächst einmal, vor allem in der Oper, alles abgelehnt werden muss, was neu ist?
Valentin Schwarz hat jedenfalls seine Inszenierung vor allem bei der Personenführung nachgeschärft und dabei besonders präzise gearbeitet. Anstelle von niedlichen Schwertern gibt es Pistolen (offenbar ähnlich wie bei Martin Kušejs Mozart-Regie in Salzburg). Hunding ist diesmal der Haustechniker von Wotan, der sich um alles kümmern muss, um die Entsorgung umgestürzter Bäume sowie inzucht-gefährdeter Wälsungen. Sieglinde ist von Beginn der „Walküre“ an schwanger, ob von Hunding oder von Wotan, weiß man nicht. Der Walkürenritt findet zwischen Schönheits-OPs statt (diese Idee nützt sich übrigens schon im zweiten Jahr ab, vielleicht auch deshalb, weil die Damen weder besonders gut spielen, noch singen). Wotan ist diesmal derjenige, der Siegmund . . . nein, nicht mit dem Speer tötet, sondern erschießt.
Wotans Abschied
Und am Ende verbannt er nicht seine Lieblingstochter auf den Brünnhilden-Felsen, sondern sich selbst von der Welt. Er ist ein gebrochener Mann, todtraurig, trinkt zu viel, Wotans Abschied ist auch einer von sich selbst, er zieht sich zurück, geht in Pension. Ja darf das ein Gott? Auch eine wichtige Frage angesichts des Zustandes der Welt.
Die Sänger
Da wir nun schon bei Gott sind: Was Tomasz Konieczny diesmal als Wotan zeigt, ist beeindruckend und zutiefst berührend. Bei der Premiere 2022 hatte er sich im zweiten „Walküren“-Aufzug verletzt, als er sich in einen Eames-Chair wuchtete, der unter ihm zerbrach – er konnte den dritten Aufzug nicht singen und musste ersetzt werden, obwohl man ja nur einen Gott haben sollte. Diesmal nimmt er vorsichtiger Platz, der Chair und die Frisur halten, und er präsentiert eine geniale Studie einer psychologischen statt einer anatomischen Zerbrechung. Auch wie Konieczny singt, ist phänomenal – mit einer Einschränkung bezüglich der Textdeutlichkeit. Dass er ein mächtiges Organ hat, das zu dramatischen Ausbrüchen fähig ist, weiß man nicht zuletzt aus Wien. Nun in Bayreuth jedoch phrasiert er mit seinem dunklen Bassbariton auch so schön, nobel, mit enormer Präzision, gestaltet die Piano-Passagen als großer Könner, sodass man nur den Wanderer-Hut vor ihm ziehen kann.
Georg Zeppenfeld ist bezüglich Verständlichkeit und auch sonst ein fabelhafter Hunding. Klaus Florian Vogt gibt einmal noch den stimmlich knabenhaften Siegmund, ehe er dann im nächsten Jahr zu den Siegfried-Schwergewichten wechseln wird. Elisabeth Teige ist als Sieglinde stimmlich bereits zu sehr Schwergewicht mit unschöner Intonation. Catherine Foster gestaltet die Brünnhilde beachtlich fein und nicht nur brüllend, Christa Mayer bleibt als Fricka markant und gut.
Der Dirigent
Das Bühnenbild (Andrea Cozzi) funktioniert bei den Umbauten reibungsloser als so manches im Orchestergraben. Einmal, vor Wotans Abschied, dreht sich ein Kubus und man sieht über einen Spiegel den Dirigenten Pietari Inkinen bei der Arbeit, was in Bayreuth sonst nie der Fall ist. Allein in diesem Moment glaubt man auch optisch zu erkennen, was akustisch vor sich geht: wie heftig er um Koordination bemüht ist und wie schwer ihm das fällt.
„Die Walküre“ ist musikalisch wesentlich besser als „Rheingold“, aber dennoch über weite Strecken kraft- und spannungslos, zu wenig differenziert. An gute Dirigenten, ob in Bayreuth oder anderswo, darf man da gar nicht zu denken beginnen.
Wenn allerdings Wotan so exemplarisch agiert wie diesmal, überlagert das sogar musikalische Schwachstellen.
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