„Walking Dead“, das Opernspecial: Mit Armbrust gegen Nazis
Es war ja nur eine Frage der Zeit, bis sich die grandiose Fernsehserie „The Walking Dead“ auch auf einer Bühne wiederfindet. Diesmal im Theater an der Wien: Während der berühmten Ouvertüre zu Gioachino Rossinis „Guillaume Tell“ wird der Protagonist zum Mörder, schleppt sich in blutigem Shirt über die Bühne, dann erheben sich zombieartige Wesen aus dem Schnee und verfolgen Tell wie die Untoten auf dem Bildschirm den Serienstar Daryl, ebenfalls Träger einer Armbrust.
Ein, naja, ungewöhnlicher Ansatz. Sofort rätselt der „Walking Dead“-Junkie, ob denn wohl im Lauf der Inszenierung von Torsten Fischer der Sohn von Wilhelm Tell, dem dieser den Apfel vom Kopf schießen muss, aussehen wird wie Carl, der Sohn von Rick im Fernseh-Hit. Ob auch in dieser Regie die Lebenden viel gefährlicher sind als die Zombies. Und ob Gesler wohl wie Negan mit dem Baseballschläger Lucille durch den Kanton Uri zieht.
Die Inszenierung
Aber nichts dergleichen. Die Geschichte kippt in hundertfach gesehene Diktatur-Klischees, man sieht italienische Faschisten, Nazis, dazwischen US-Marines mit Gewehren im Anschlag, das Böse ist also nicht klar verortet. Tell selbst ist ein Held wider Willen, eigentlich ein biederer Anti-Held. Der Rütli-Schwur ist kein Kraftakt, sondern der letzte Aufschrei der Lebenden, ehe die Zombies kommen. Und wenn Walter Fürst nach der Ermordung Geslers dessen Uniform anzieht, denkt man sich nur: Bitte nicht noch ein Fingerzeig, dass der nächste Diktator schon wartet.
So viele gute Inszenierungen hat Torsten Fischer bereits vorlegt. Diese ist offenbar an der Komplexität der Materie, an der De-facto-Unaufführbarkeit der Geschichte vom Freiheitskampf der Schweizer gegen die Habsburger zwischen Blut und Idylle in Einzelbilder zerbröselt.
Das Bühnenbild (Herbert Schäfer & Vasilis Triantafillopoulos) zeigt eine Projektionsfläche für Videos von Nazis und Kampfbombern. Bedrohliche Metallelemente senken sich immer wieder und unterdrücken das Volk. Einige Szene geraten richtig beklemmend. Insgesamt ist diese Produktion gut gemeint und mittelgut umgesetzt.
Der Dirigent
Ebenfalls medioker ist die musikalische Umsetzung durch Dirigent Diego Matheuz am Pult der Wiener Symphoniker, der vieles verschleppt, koordinatorisch nicht alles im Griff hat und bezüglich Differenzierung einiges schuldig bleibt. Diese Grand opéra bräuchte mehr Attacken, feinere Lyrismen, einen klaren dramaturgischen Bogen.
Die Sänger
Dafür sind zwei Stimmen erstklassig: Der Tenor von John Osborn (Arnold Melcthal) mit hellem Timbre, schönen Spitzentönen und durchaus viel Kraft sowie der Sopran von Jane Archibald (Mathilde) mit präzisen Koloraturen und eleganten Phrasen – die beiden sorgen für zahlreiche berührende Momente. Christoph Pohl ist ein solider Tell, Marie-Claude Chappuis eine präsente Hedwige, Anita Rosati ein quirliger Jemmy, Jérôme Varnier ein zu stark forcierender Melcthal, Ante Jerkunica ein orgelnder Gesler und Edwin Crossley-Mercer ein famoser Walter Fürst. Exzellent der Schoenberg-Chor.
Die zwingende Notwendigkeit dieser Produktion erschließt sich jedenfalls nicht.
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