Es ist ja zumindest die Vorlage, Shaws „Pygmalion“, auch eine Satire, die nach oben tritt. Die „bessere Gesellschaft“ steigt nicht gut aus.
Markus Meyer: Shaw war sehr emanzipiert! Und es ist nicht so, dass Higgins ihre Klasse verachtet. Er sieht, was ihr fehlt, und versucht, sie via Sprache weiterzubringen. Wäre er Bildungsminister, würde er die Sache natürlich ganz anders angehen.
Hier ist „My Fair Lady“ ja erfrischend altmodisch: Bildung scheint heute kein Wert mehr, den viele Menschen groß anzustreben scheinen. Und sie ist in Österreich eh „vererbt“ – das selbe Ungleichgewicht wie zwischen Higgins und Eliza.
Paula Nocker: Eliza hat den Wunsch, auf Augenhöhe mit Higgins zu sprechen, eine Balance zu finden.
Markus Meyer: Er sieht in ihr zuerst den Menschen – und dann das Problem mit der Sprache. Das ist wie die Sprecherziehung in den Schauspielschulen. Die sehen ein Talent und denken, an dem „E“ müssen wir arbeiten, an dem „A“ müssen wir arbeiten. An meinem norddeutschen „E“ wurde rumgemacht, das war schon zum Verzweifeln! Aber ich habe immer dahinter erkannt: Die wollen mich ja wohin bringen, die wollen das Beste für mich. Higgins sagt am Ende: Er sieht jeden Menschen gleich.
Aber nicht von Anfang an.
Markus Meyer: Beim ersten Treffen gibt es schon ein paar Sätze von ihm, die verletzend verstanden werden können. Er meint es aber, denke ich, gar nicht so.
Diese Ausgangslage hat aber schon etwas Zoologen-mäßiges: Der „Intellektuelle“ sieht ein „ungeformtes Individuum“.
Paula Nocker: Aber dann trennen sie sich wieder – und es ist ihre Entscheidung, zu ihm zu kommen. Sie nimmt es sich und fordert es ein.
Markus Meyer: Das ist die eigentliche Aussage des Stücks, dass Sprache hilft, mehr soziale Möglichkeiten zu bekommen. Wenn man die Schlagzeilen liest, dass Deutschkenntnisse in Österreich ganz schlecht sind, dann muss man sagen: Mit schlechten Deutschkenntnissen komme ich auch heute nicht weiter. Man muss sich verständigen können, sonst kommt es letztendlich sogar zu Hass und Mobbing. Das ist der Appell des Stücks.
Paula Nocker: Und ich finde gerade schön, dass Higgins und Eliza selbst am Schluss, wenn sie beide dieselbe Sprache sprechen, weiter aneinander vorbeireden, weil sie sich nicht verstehen können.
Markus Meyer: Weil dann das Gefühl fehlt. Das wäre dann die Fortführung: Eigentlich müsste Higgins dann auch zum Unterricht, zum emotionalen Unterricht.
Wie ist denn die Arbeit hier, wollen Sie darüber reden?
Paula Nocker: Ich rede gern über die Kollegen! (lacht) Es ist wirklich ein Geschenk, wenn man sich so gut aufgehoben fühlt und dadurch Freiheiten bekommt. Das liegt an der Regisseurin und an den tollen Kolleginnen und Kollegen der Volksoper.
Markus Meyer: Die Ruth macht das wahnsinnig charmant, die hat unsere Rasselbande toll im Griff. Eine unglaublich positive Energie. Und sie bewahrt bei allem auch so eine Ruhe! Es ist reibungslos und man hat nie das Gefühl einer Angst oder eines Drucks.
Man liest, dass das am Theater anderswo oft schon mit Druck und Angst war. Bessert sich das derzeit?
Paula Nocker: Ich hatte bisher wahnsinniges Glück. Was aber nicht heißt, dass das jeder hat. Man kann in keinem Beruf nur mit Menschen zu tun haben, die einem man gut gesinnt sind. Ich wüsste nicht, wo es das gibt.
Markus Meyer: In den 20 Jahren, die ich Sprechtheater mache, hat sich der Ton der Regie zum Schauspielensemble schon geändert. Das ist positiv – es ist aber immer noch Luft nach oben. Wir sind alle sehr woke, um dieses Wort zu verwenden, sehr wach. Die Gefahr ist, dass man sich dann gewissen Dingen nicht mehr stellen kann und will.
Welchen?
Markus Meyer: Man möchte die Gesellschaft abbilden. Was aber, wenn die Gesellschaft immer noch bestimmte Sachen sagt? Das kann ich auf der Bühne nicht auslassen, um ein Milieu zu zeigen. Im Theater aber denkt man nach, ob man eine Frauenfigur nicht mehr spielen darf, wenn sie zu schwach ist. Aber dann ist die Aussage eine völlig andere! Bei aller Wokeness: Das muss man in der Arbeit am Theater überprüfen.
Aber offene Diskussionen darüber sind schwierig?
Markus Meyer: Am Theater sind Kränkungen viel stärker, weil wir mit Emotionen arbeiten. Wir öffnen uns und geben unsere Fantasie, und dann kommt jemand und sagt: Das ist falsch. Wenn ich an meine Anfangsjahre denke, was mir da alles auf die Bühne hochgeschrien wurde ...
Dinge, die heute keiner mehr sagen würde am Theater?
Markus Meyer: Vieles, das heute als verletzend empfunden werden könnte. Aber man hatte das Recht, diese Ausdrücke auch zurückzuschreien. Die Streitkultur war eine andere. Man muss heute, wie Eliza, fast schon wieder eine neue Sprache lernen: Wie spricht man miteinander, damit es nicht verletzend ist und man trotzdem zu einem gemeinsamen Ergebnis kommt? Man muss sich auch am Theater in gepflegtem Streit üben, weil es um eine Sache geht, und darf nicht auf die persönliche Ebene gehen. Aber man muss nicht einer Meinung sein.
Arbeiten junge Schauspielerinnen heute in einem ausreichend sicheren Umfeld?
Paula Nocker: Ich finde es gibt immer Verbesserungsmöglichkeiten! Und für mich ist die Kommunikation, um es mit Elizas Worten auszudrücken, das A und O der Welt!
Wir dürfen mehr fordern und wir dürfen unsere Bedürfnisse äußern! Dafür muss Platz sein und sich den zu erkämpfen lohnt sich!
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