Viennale-Shots 4: Atheismus & Abschied

"Lourdes" ist ein mehr als verdienter Preisträger, "A Serious Man" von den Coens ein gelungener Abschluss. Plus: viel Kultiges zum Ausklang.

Die Viennale ist zu Ende, die Preise verteilt - und mit "Lourdes" gab es auch einen verdienten Sieger in der Kategorie österreichischer Spielfilm. Wie Regisseurin Jessica Hausner es geschafft hat, in die - naturgemäß etwas biedere - Pilgerwelt von Lourdes einzutauchen, und daraus ein äußerst kurzweilig-amüsantes, stilles Drama zu zaubern, ist mehr als preiswürdig.
Bei der Österreich-Premiere im Gartenbaukino hat Viennale-Chef Hans Hurch darauf hingewiesen, dass "Lourdes" schon in Venedig mit äußerst unterschiedlichen Preisen bedacht worden ist. Neben dem FIPRESCI-Preis gewann der Film dort den Signis-Preis der ökumenischen Jury und den "Brian"-Preis, vergeben von der (halten Sie sich fest!) Union der Atheisten und Agnostiker. Ob die in "Lourdes" gezeigte wundersame Heilung einer an multipler Sklerose leidenden Frau (herausragend gespielt von Sylvie Testud) reiner Zufall sein soll oder göttlicher Plan - Gläubige wie Nichtgläubige scheinen mit der Darstellung gleichermaßen gut leben zu können.

Der Wiener Filmpreis ist jedenfalls ein weiterer Erfolg für die Wiener Filmproduktionsfirma coop99, die während der Viennale auch ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert hat. Neben "Lourdes" hatte die erfolgreiche Filmschmiede auch Shirin Neshats "Women without Men" (Silberner Löwe in Venedig) im Hauptprogramm der Viennale. Beide Filme tragen übrigens die Handschrift des Kameramanns und coop99-Mitbegründers Martin Gschlacht.

Kultige US-Filme zum Abschluss

In den letzten Tagen setzte die Viennale auch noch auf mehrere US-Produktionen von absoluten Kultregisseuren. Woody Allens neuer Wurf "Whatever Works" sorgte auch als Frühstücksfilm um 6.30 Uhr für Lachsalven (siehe Kritik), George A. Romeros neuestes Zombie-Schlachten "Survival of the Dead" wurde freilich stilecht als "Midnight Movie" um 24 Uhr angesetzt. Zum sechsten Mal verband der US-Regisseur nun schon politische Botschaften mit bluttriefenden Splatter-Sequenzen. Auf einer Insel bekriegen sich zwei irischstämmige Clan-Führer, die äußerst unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie man der Zombie-Meute Herr werden könnte. Ein Bruderkrieg, von dem keiner mehr weiß, warum er eigentlich geführt wird. Romero wollte damit an den Nahostkonflikt erinnern. Aber im Mittelpunkt stehen dennoch die kreativen Methoden, mit denen die Untoten in die ewigen Jagdgründe geschickt werden.

Ebenfalls spätnachts stand "Black Dynamite" im Gartenbau auf dem Programm. Regisseur Scott Sanders beutete dafür die Blaxploitation-Filme der Siebziger gnadenlos aus - Shaft lässt grüßen! In täuschend echter 70er-Optik und ebensolcher Soul-Soundkulisse sucht Titelheld "Black Dynamite" (Michael Jai White) den Mörder seines Bruders und muss sich in Dutzenden spektakulären Fights gegen eine Hundertschaft an seltsamen Typen (darunter sogar Richard Nixon!) beweisen. Ein Höllenspaß und sicher einer der Partyfilme des Jahres!

Neuer Geniestreich der Coens

Zum Abschluss der Viennale konnte hohe Komödienkunst von den Coen-Brothers begutachtet werden: "A Serious Man" ist eine skurril-liebevolle Hommage an das Jüdischsein. Dem Physikprofessor Lawrence Gopnik, der ein beschauliches Leben in einer kleinen jüdischen Gemeinde im Mittelwesten führt, droht plötzlich das ganze Leben davonzurinnen: seine Ehefrau will die (religiös korrekte) Scheidung, sein Bruder bekommt es mit der Polizei zu tun, selbst die TV-Antenne spielt andauernd verrückt. Sich aktiv dagegen zu wehren kommt für den konservativen Juden nicht in Frage, er sucht Rat bei drei verschiedenen Rabbis - die aber nur enigmatische Botschaften ("Sehen Sie sich diesen Parkplatz an!") parat haben.

Mit dem Abschlussfilm hat sich nun eine Klammer geschlossen, mit der man die große Bandbreite der Viennale beschreiben könnte: vom breitenwirksamen, aber doch intelligenten, großen Kinofilm bis zu kleinen Produktionen, die reale, aktuelle Lebenswelten abbilden. Der Eröffnungsfilm "La Pivellina" von Tizza Covi und Rainer Frimmel ist so ein Beispiel. Mit überzeugend spielenden Laiendarstellern gedreht, sagt der Film um ein Findelkind vielleicht mehr über die Vorstädte Italiens aus, als so mancher Dokumentarfilm es könnte.

Duell der Autorenfilmer: Ferrara vs. Herzog

Dem Dokumentarfilm hat sich US-Kultregisseur Abel Ferrara zugewandt - und sich für "Napoli Napoli Napoli" in die Stadt seiner Vorfahren begeben. Die schaurigen Verhältnisse in dieser vom Verbrechen zerfressenen Stadt kommen in den Schilderungen der Insassinnen eines Frauengefängnisses drastisch zum Ausdruck. So sehr, dass es nicht notwendig gewesen wäre, dazu noch gespielte Gewalt- und Sexszenen zu drehen. Aber der Kino-Maniker Ferrara konnte wohl nicht anders.
Ferrara lief einem bei dieser Viennale gleich mehrmals über den Weg, obwohl kein neuer, großer Spielfilm von ihm im Programm war. Zunächst wurde sein Kultklassiker "Bad Lieutenant" von 1992 noch einmal gezeigt, in Reibung mit Werner Herzogs Neu-Bearbeitung des Stoffs. Und in dem in fahrigen Bildern gedrehten Independentfilm "Go get some Rosemary" von Benny und Josh Safdie legte Ferrara noch einen Cameo-Auftritt als Kleingauner hin, der die Hauptperson - einen gestressten Vater - am hellichten Tag ausraubt.

Mit Spannung wurde beim Wiener Publikum erwartet, wie viel von Ferrara nun in Werner Herzogs "Bad Lieutenant: Port of Call New Orleans" drin ist. Viel mehr als das Grundthema - eines korrupten, zugedröhnten Polizisten im Abwärtsstrudel - nicht. Umso ärgerlicher ist, dass die Produzenten dem Projekt Ferraras Titel aufpfropften.
Nicolas Cage irrt durch ein vom Hurrikan Katrina gezeichnetes New Orleans, fällt über Passanten her, um ihnen Drogen abzunehmen, oder bedroht alte Ladys. Als der derangierte Bulle dann auch noch während eines Einsatzes Leguane halluziniert, ist der Herzogsche Sarkasmus nicht mehr zu übersehen. Ein Film noir mit einem herausragenden Nicolas Cage, der auch seine komische Seiten zeigt.

Vom schwülen Mississippidelta in die klirrende Kälte der Antarktis: von Werner Herzog war bei der Viennale auch eine Doku zu sehen. Mit "Encounters at the End of the World" wollte Herzog "keinen weiteren Film über Pinguine" abliefern. Er bildet jenen Menschenschlag ab, der sich am Ende der Welt angesiedelt hat, um dort unter dem Eis zu tauchen, Eisbergforschung zu betreiben oder Vulkankrater zu erkunden. Herzogs Entdeckungen unter den Nachfolgern Shackletons, die er selbst kommentiert, reichen von skurril bis bizarr. Und ein paar Pinguine zeigt er ja doch - und zwar ziemlich orientierungslose Exemplare.

Karmakar scherzte über Österreichs Autofahrer

Einige starke Musikdokus waren bei der Viennale zu sehen, Romuald Karmakar hat mit "Villalobos" noch eins draufgesetzt. Der deutsche Dokumentarfilmer beobachtete über mehrere Jahre den Spitzen-DJ Ricardo Villalobos, einer der gefragtesten Plattenverleger zwischen Berlin und Ibiza. In seinem Film "Villalobos" blickt er dem chilenischstämmigen deutschen Musiker über die Schulter und lässt die Zuschauer großzügig daran teilhaben. Nur ganz wenige Schnitte setzt Karmakar, viel Musik ist zu hören, eine Gesprächssequenz läuft mehr als dreißig ungeschnittene Minuten lang. Dadurch wird die Welt eines Klangzauberers inmitten seiner digitalen und analogen Tools begreifbar.
Bei der Vorstellung von "Villalobos" im Stadtkino zeigte sich der Viennale-Gast Romuald Karmakar dann noch als zumindest Gelegenheits-KURIER-Leser. "Ich freue mich, dass so viele den Weg hierher gefunden haben". Wenn man den aktuellen KURIER gelesen habe, könne man sich da ja nicht so sicher sein, meinte Karmakar und bezog sich dabei auf die Schlagzeile: "Wie gut sind Österreichs Autofahrer? Heimische Lenker schneiden im Europa-Vergleich schlecht ab".

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