Viennale-Highlight: Orson Welles trifft auf Dennis Hopper
„Ich habe ganz oben begonnen und mich dann bis ganz unten durchgearbeitet“, sagte Orson Welles einmal sehr selbstironisch über seine Karriere in Hollywood.
Der Regisseur hatte mit seinem legendären „Citizen Kane“ (1941), dem Porträt eines Zeitungsmoguls, den Meilenstein zum modernen Erzählkino gelegt. Fünf Jahrzehnte lang galt „Citizen Kane“ als der bedeutendste Film aller Zeiten, doch bei seinem Erscheinen machte er Verluste an den Kinokassen.
Sein ganzes Leben lang blieb Orson Welles ein Außenseiter in der amerikanischen Filmindustrie. Zwar reüssierte er immer wieder als Schauspieler – nicht zuletzt als freundlicher Zyniker Harry Lime im Wiener Spionage-Thriller „Der dritte Mann“ (1949); doch seine weitere Karriere als Regisseur zeichnet sich vielfach durch unvollendete Projekte aus.
Außenseiter-Treff
Im Alter von 55 Jahren kehrte Welles nach Hollywood zurück, um dort seinen Comeback-Film zu realisieren: „The Other Side of the Wind“ handelt von einem gealterten Regisseur, der seinen Comeback-Film drehen will, ihn allerdings nicht fertig gestellt bekommt. Ironischerweise blieb auch Welles’ Film zu Lebzeiten seines Regisseurs unvollendet. 2017 wurde bekannt, dass Netflix die Rechte zum Material von „The Other Side of the Wind“ erworben hatte, 2018 präsentierten die Produzenten Frank Marshall und Filip Jan Rymsza den fertiggestellten Film (abrufbar auf Netflix).
Orson Welles hatte geplant, in „The Other Side of the Wind“ eine Diskussion mit Dennis Hopper einzubauen. Hopper stand damals auf dem Höhepunkt seines Ruhms und galt als herausragender Vertreter von „New Hollywood“: Sein Regiedebüt „Easy Rider“ (1969) brachte die Kinokassen zum Klingeln; Hopper arbeitete bereits am Nachfolgefilm „The Last Movie“ (1971), der später so desaströs floppen sollte, dass auch er – wie schon Welles vor ihm – zum Außenseiter Hollywoods wurde.
Im November 1970 flog Orson Welles den jungen Kollegen nach Los Angeles ein, um mit ihm ein mehrstündiges Gespräch zu führen; die Konversation wurde von zwei Kameras auf 16-mm-Film in Schwarz-weiß mitgefilmt. Allerdings endete das Material – abgesehen von 30 Sekunden – nicht in der Endfassung von „The Other Side of the Wind“, sondern blieb liegen, erzählt Produzent Filip Jan Rymsza, während der Viennale auf Wien-Besuch, im KURIER-Gespräch: „Es hat eineinhalb Jahre gedauert, bis ich mir die Filmrollen wieder angesehen habe und feststellte: ,Wow! Dieses Gespräch ist 50 Jahre her, aber es fühlt sich total aktuell an!’ Welles und Hopper sprechen über Politik und über die Bürgerrechtsbewegung, die ja gerade jetzt durch die ,Black Lives Matter’-Debatten in den USA wieder ein Dauerthema ist. Es erschien mir der perfekte Zeitpunkt, das Material dem Publikum zu zeigen.“
Der Film „Hopper/Welles“ dokumentiert 130 Minuten lang die Begegnung zwischen den Star-Regisseuren, zwischen dem „alten“ und dem „neuen“ Hollywood: „Wir zeigen das Gespräch im Ganzen“, sagt Rymsza: „Jeder soll sich seine eigene Meinung bilden.“
Tatsächlich ist nur Dennis Hopper in Großaufnahme zu sehen: Er sitzt mit Cowboy-Hut an einem Tisch, süffelt Gin-Tonics und krault sich den Bart. Orson Welles ist nie zu sehen, dafür umso deutlicher zu hören. Mit donnernder Stimme stellt er dem Gast Fragen, die sich mehr nach Verhör als nach Interview anfühlen: Ist der Filmemacher eher Gott oder Zauberer? Welche Rolle spielt das Publikum? Kann ein Film die Welt ändern? Und wo steht Hopper politisch?
Gerade die letzte Frage will Hopper nicht so recht beantworten, sondern windet sich wie ein Aal: „Obwohl er durch ,Easy Rider‘ zur Galionsfigur der amerikanischen Gegenkultur erhoben wurde, erwies sich Hopper später als Republikaner, der Bush wählte und sich für Waffen begeisterte“, erzählt Rymsza: „Natürlich hat er sich für die Bürgerrechtsbewegung eingesetzt, aber in anderer Hinsicht war er extrem konservativ. Welles versucht immer wieder, ihn zu provozieren, um ein bisschen Feuer in ihm zu entfachen.“
Flirten
Politisch will sich Hopper nicht aus dem Fenster lehnen, dafür überrascht er sein Idol mit intimen Bekenntnissen:
Dass seine Mutter eine fürchterliche Person gewesen sei, die er aber immer erotisch attraktiv gefunden habe.
Während er davon erzählt, beginnt Hopper mit einer Frau zu flirten, die auch am Tisch sitzt, und die wir erst recht spät zu sehen bekommen: „Oh ja, und wie er flirtet!“, bestätigt Rymsza und lacht lauthals: „Das war Janice Pennington, die dann in Playboy ein Playmate des Monats wurde. Ihr Mann sitzt übrigens auch mit am Tisch. So waren die 70er Jahre – was für eine Zeit!“
Dass Orson Welles der intellektuell Überlegene war, ist für Filip Jan Rymsza eindeutig: „Ich denke mir das jedes Mal, wenn ich ihn sprechen höre. Mit Ausnahme“ – und hier muss er wieder lachen – „wenn er zugibt, dass er nicht weiß, wer Bob Dylan ist.“
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