Viennale: Blockbuster und Bürgerrechtsbewegung
Die 61. Viennale geht mit großen „Festival-Blockbustern“ in ihr finales Wochenende. Michael Manns geschliffenes Biopic „Ferrari“ mit Adam Driver in der Rolle des italienischen Autobauers steht nochmals auf dem Programm, ebenso wie Sofia Coppolas feinfühliges Mädchenporträt „Priscilla“.
Zwei Mal bekommt man noch die Chance, den Löwen-Sieger des Filmfestivals in Venedig, Giorgos Lanthimos’ Emanzipationssatire „Poor Things“ mit Emma Stone zu sehen, ehe es Anfang des nächsten Jahres in den heimischen Kinos anläuft.
Seine Österreich-Premiere auf der Viennale feiert zudem Adrian Goigingers Vater-Sohn Dramedy „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“ mit dem Meister des neuen Wienerlieds Vodoo Jürgens in der Hauptrolle. Auch „Rickerl“ findet nach seiner Viennale-Premiere bald den Weg ins reguläre Kinoprogramm. Trotzdem lässt sich die Energie eines Festivals mit dem regulären Kinogang schwer vergleichen. Viennale-Besuche erzeugen ihren eigenen Sog, umso mehr, wenn Regisseure und Regisseurinnen dem Publikum unmittelbar nach der Vorführung im Gespräch zur Verfügung stehen.
Kürzer als Oppenheimer
Ganz besonders innig fühlte sich etwa das Publikumsgespräch mit der französischen Dokumentaristin Claire Simon an: „Mein Film ist kürzer als ,Oppenheimer‘“, versicherte die französische Filmemacherin, ehe sie mit ihrer Doku „Notre Corps“ („Unser Körper“) für packende 168 Minuten lang den Besuch in einem Pariser Spital antrat. Eine Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe wird zum Schauplatz für Simons Kamera und beobachtet Frauen jeden Alters bei ihrem Spitalsaufenthalt. Abtreibungen, künstliche Befruchtungen, Geburten oder Brustkrebsoperationen – vor Simons Kamera entfaltet sich ein Spektrum weiblicher (Kranken-)geschichten und gewährt unglaublich intime Einblicke in das Leben anderer Menschen – auch in jenes der Regisseurin: Mitten während der Dreharbeiten wurde bei Claire Simon Brustkrebs diagnostiziert. „Wir sehen überall in der Stadt Werbebilder von schönen Frauen – und ich zeige die andere Seite“, erklärte Simon ihrem gebannten Publikum: „Es geht darum, Dinge sichtbar zu machen. Es ist wichtig, die Probleme anderer zu sehen, denn das verändert viel. Durch diese Erfahrung ist mir auch die eigene Krebs-Diagnose leichter gefallen. Das ist kein trauriger Film.“
Für Clair Simon ist Kino ein Ort kollektiver Aufklärung – und man hofft, dass auch „Notre Corps“ Platz im regulären Kinobetrieb finden wird, damit möglichst viele diese Seherfahrung teilen können.
Aber noch ist die Viennale nicht vorbei (bis 31. 10.). So finden sich beispielsweise Filme aus dem historiografischen Schwerpunkt zu James Baldwin und David Schickele im Wochenendprogramm, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Der charismatische afroamerikanische Schriftsteller James Baldwin blickte 1980 in Dick Fontaines eindringlicher Doku „I heard it through the Grapevine“ auf wichtige Meilensteine der US-Bürgerrechtsbewegung zurück. Ebenfalls ein cineastisches Muss ist David Schickeles „Bushman“ von 1971: Was als leichtfüßige Komödie eines Nigerianers in San Francisco gedacht war, nahm aufgrund historischer Ereignisse (wie die Gräuel des nigerianischen Biafra-Kriegs) eine düstere Wendung.
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