"Vienna Art Week": Der Zwischennutzen der Kunst
Die Leidenschaft steht zwar nicht am Abstellgleis, aber in Sichtweite davon. In der Rosinagasse im Grätzel zwischen Äußerer Mariahilferstraße und den Schienensträngen des Westbahnhofs wurde ein Gebäude bis kommenden Freitag (17. 11.) zum „House of Inciting Passion“ („Haus, das Leidenschaften weckt“) erklärt.
Leidenschaft für die Kunst will in diesem Fall die „Vienna Art Week“ wecken. Bereits zum 19. Mal bündelt die Kunstwoche die Aktivitäten der Wiener Szene, die großen Museen und Galerien sind ebenso dabei wie das Dorotheum (als Hauptsponsor) und eine Vielzahl kleiner Initiativen, dazu öffnen Künstlerinnen und Künstler ihre Ateliers.
In aller Breite
Das Nebeneinander auf der temporären Bühne macht das Alleinstellungsmerkmal des langlebigen Festivals aus. „Wir sind gewissermaßen die Mutter der Art Weeks“, sagt Robert Punkenhofer, der als Initiator und Leiter des Festivals schon ähnliche Projekte in Berlin, Prag oder Amsterdam beraten hat. Galt lange Zeit das Modell einer Biennale als Wunschprojekt zur kulturellen Standort-Aufwertung, setzte Wien früh darauf, die Szene in aller Breite zu beleuchten.
Die Zwischennutzung brachliegender Gebäude, die lange ein Notprivileg mittelloser Enthusiasten war, ist dabei auch für etablierte Akteure zur Präsentationsform der Wahl geworden. Im „House of Inciting Passion“, in dem sich einst eine Manufaktur für Strickmode aus Alpaka-Wolle befand, ist das offensichtlich: Teilweise sind hier noch Arbeitstische und Spinde mit alten Pin-up-Posters vorhanden, dazwischen drängt sich Kunst. Manchmal profitiert diese davon – etwa wenn Künstlerin Assunta Abdel Azim Mohammed eine riesige Kugelschreiber-Zeichnung wie eine Stoffbahn auslegt oder der Komponist Fatrin Krajka seine düstere Musik in einer desolaten Wohnung mit Blick auf die Bahngleise erklingen lässt. Manchmal wird die Kunst vom Ambiente erdrückt.
Wem es nützt
Dass Zwischennutzungen auch dazu dienen, brachliegende Objekte symbolisch aufzuladen und investmentstarkes Publikum an Standorte zu bringen, das es alleine nicht aufsuchen würde, ist gut eingeübte Praxis. Als Pionierin in Wien darf die „Parallel Vienna“ gelten, die sich einst als Satelliten-Event zur Messe „Viennacontemporary“ etablierte.
Die Vienna Art Week nutzte im Jahr 2020 erstmals ein leer stehendes Gebäude. Heuer ist die ehemalige WU Wien, die nach der Zwischennutzung durch die Akademie der bildenden Künste als „West Space“ Künstlerinnen und Künstlern Atelierräume bietet, ein weiterer Hotspot der Kunstwoche. Um entlegene Winkel der Stadt zu erkunden, sind die Events zweifellos eine hervorragende Gelegenheit – die Frage ist aber, ob sie auch der Kunstszene langfristig nutzen.
Im Stadtentwicklungsgebiet Nordwestbahnhof, das ebenfalls von kulturellen Akteuren zwischengenutzt wird, sorgt sich etwa die seit Jahren vor Ort aktive Initiative „Tracing Spaces“ darum, dass maximal zwei der fünf eindrucksvollen Lagerhallen erhalten werden sollen – für den Stadtteil fehle aber ein Kulturkonzept.
Der Immobilienentwickler, der der „Art Week“ das Haus zur Verfügung stellte, schreibt sich in einer inmitten der Kunst platzierten Werbebotschaft ebenfalls Leidenschaft auf die Fahnen. Vor dem Hintergrund kriselnder Immobilienmärkte ist freilich die Frage, ob die Passion anhält, wenn die Option besteht, Flächen profitabel zu vermieten.
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