Wiens Nordwestbahnhof: Die Leerstelle, die die Stadt prägte

Noch immer ist das Gelände des Wiener Nordwestbahnhofs eine große Barriere inmitten des 20. Bezirks, mittelfristig soll hier ein Stadtteil für 15.000 Menschen entstehen. Die Architekten/Künstler Michael Zinganel und Michael Hieslmair, die gemeinsam unter dem Namen „Tracing Spaces“ arbeiten, sind seit Jahren damit befasst, die bewegte Geschichte des Ortes vor dem Vergessen zu bewahren. Denn der Nordwestbahnhof war für Wien lange Zeit das Tor, durch das Menschen aus Böhmen und Preußen ebenso nach Wien kamen wie Fische von der Nordsee und Waren aus ganz Europa.
Der Bahnhof war auch der Platz, an dem 1927 eine riesige Indoor-Skihalle errichtet und ein Attentat auf den Bürgermeister Karl Seitz verübt wurde – und er war Schauplatz der Propaganda-Ausstellung „Der ewige Jude“, mit der die Nazis 1938 vor den Augen der in der Umgebung ansässigen jüdischen Bevölkerung Hass schürten und den Massenmord vorbereiteten.
Bernhard Hachleitner, Michael Hieslmair, Michael Zinganel:
„Blinder Fleck Nordwestbahnhof“ Falter-Verlag, 214 Seiten, 29,90 Euro
All diesen Aspekten sind in dem Buch „Blinder Fleck“, für das Hieslmair/Zinganel gemeinsam mit dem Historiker Bernhard Hachleitner verantwortlich zeichnen, Kapitel gewidmet – unterfüttert mit zahlreichen Dokumenten und historischen Bildern.
Der Band ist dabei nicht nur als Materialsammlung für Lokalhistoriker interessant: Wie bei der detaillierten Analyse eines einzelnen Gesteinsbrockens werden immer auch größere Zusammenhänge sichtbar. Wirtschaftliche Abhängigkeiten und Entwicklungen, stadtplanerische Entscheidungen und soziale Fragen, die Wien und Österreich über 150 Jahre hinweg prägten, lassen sich so an einem Ort ablesen, der heute nicht viel mehr als eine Brache ist.
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