Viel Schaum vor dem Mund

So viel Differenzierung muss sein: Kurz (li.) hat die Republik „beschissen“, Sobotka hingegen „zugeschissen“, meint Thurnher.
Armin Thurnher leidet wieder an Österreich. Sah er vor zehn Jahren die „Republik ohne Würde“, stoßseufzte er ein paar Jahre danach „Ach, Österreich!“, so lautet jetzt der lapidare Befund „Anstandslos“.
Zu behaupten, dabei gehe es um eine fundamentale Abrechnung mit Sebastian Kurz, wäre allenfalls eine leichte Zuspitzung. Zum einen, weil es ganz wesentlich auch um Wolfgang Sobotka geht; und zum anderen, weil Thurnher auch gerne über sich selbst schreibt: „Seinesgleichen geschieht“, sozusagen.
Wer anderen den Anstand abspricht, nimmt wohl selbigen für sich in Anspruch. Freilich, über weite Strecken triefen Verachtung, Spott und Häme aus den Zeilen. Das will nicht so recht zum (Selbst-)Bild des abgeklärten, altersweisen Publizisten und Intellektuellen passen. Man kann es auch anders sagen: Unter umgekehrten ideologischen Vorzeichen würde vieles, was Thurnher hier schreibt, taxfrei mit der Kampfvokabel „Hassrede“ bedacht. Aber die gibt es ja bekanntlich nur von rechts …
„Kurzisten“
Wie soll man es etwa werten, wenn die beiden zentralen Kapitel als „Die beschissene Republik“ (jenes über Kurz) und als „Die hochrangig zugeschissene Republik“ (Sobotka) überschrieben werden? Zugegeben, Thurnher nimmt auch Teile der Sozialdemokratie, insbesondere jene Werner Faymanns, nicht von seiner Kritik aus – aber das sind für ihn Abirrungen von einem an sich richtigen Weg, während die „Kurzisten“ (© Thurnher) gewissermaßen in sich „falsch“ sind bzw. für das Falsche stehen.
Das ist natürlich eine für einen Linken völlig legitime Sichtweise. Nicht ganz klar ist freilich, warum ein Linker wie Thurnher den Konservativen erklären will, wie sie zu sein hätten. Damit ist er nicht alleine: Es gibt unter Linken das Narrativ vom „guten Konservativismus“, den man, so wird emphatisch beteuert, doch so dringend bräuchte, aber leider … Und dann folgt meistens das Lied von den Bürgerlichen, die nicht mehr bürgerlich seien, ihre christlichsozialen Wurzeln verraten hätten etc.
Nicht von ungefähr kommt auch Wolfgang Schüssel in die Ziehung, waren doch dieser und Kurz in der jüngeren Geschichte die einzigen beiden ÖVP-Politiker, welchen es gelang, bei Wahlen Platz eins zu erringen.
Enttäuschte Linke
Das Buch gibt auch Zeugnis von der Enttäuschung jener, die stets „mehr Demokratie wagen“ und Kommunikation „herrschaftsfrei“ gestalten wollten. So haben sie sich das nämlich nicht vorgestellt. Im Netz tummeln sich nämlich nicht lauter kleine Thurnhers, sondern ganz viele böse Konservative, Rechte (und ja, tatsächlich auch abgründig und teils gefährlich Irre).
Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass „Anstandslos“ umstandslos im politmedialen Mainstream als eine Art Schlüsselwerk der Kurz-Jahre herumgereicht wird. Insofern ist es definitiv lesenswert.

Armin Thurnher: „Anstandslos“, Zsolnay, 128 Seiten, 19 Euro
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