"Victoria": "Ein Stück Volle-Pulle-Kino"

Frederick Lau mit Laia Costa als „Victoria“.
Sebastian Schipper über seinen Echtzeitthriller "Victoria", Banküberfälle und warum er den "Tatort" nicht mag.

Am liebsten würde Sebastian Schipper überhaupt nicht über seinen Film "Victoria" (derzeit im Kino) reden. Am liebsten wäre es ihm, die Leute würden sich seinen Film einfach anschauen und ihre eigene Meinung bilden – alles andere sei ihm zu "schulisch". Doch einmal angetippt, kommt der Mann aus Hannover, wohnhaft in Berlin, ganz schön ins Reden.

Man kennt Sebastian Schipper als Schauspieler etwa aus Filmen von Tom Tykwer ("Drei") oder als "Tatort"-Kommissar Jan Katz. Auch als Regisseur hat er bereits mehrfach reüssiert, doch gerade sein neuer Echtzeitthriller "Victoria" räumte bei den Deutschen Filmpreisen fulminant ab.

In "Victoria" erzählt Schipper in einer ungeschnittenen, 140 Minuten langen Einstellung von der nächtlichen Begegnung einer jungen Spanierin mit vier Berliner Burschen. Zuerst wird nur gemeinsam abgehangen, doch dann beschließt die Gruppe, eine Bank zu überfallen. Ein Gespräch mit Sebastian Schipper über Bravsein, Banküberfälle und warum er den "Tatort" nicht ausstehen kann.

KURIER:Herr Schipper, woher kam Ihr Ehrgeiz, einen Film in einer Einstellung zu drehen?

"Victoria": "Ein Stück Volle-Pulle-Kino"
Der deutsche Regiesseur Sebastian Schipper im Interview am 23.06.2015 in Wien
Sebastian Schipper:Ich mag Kino am liebsten, wenn es ganz einfach ist. Und ich wollte aus den Konventionen des Filmemachens ausbrechen. Ich bin ein Kino-Mensch und ich habe versucht, ein Stück Volle-Pulle-Kino zu machen. Mein Film ist schnell, mit hoher Energie, billig, hat eine starke Frauenfigur und ist am Rande der Filmindustrie entstanden – eigentlich wie ein klassischer Film noir. "Victoria" sollte toll sein, leidenschaftlich und dabei nicht blöd. Dafür war dieser One-Take total entscheidend.

Sie hatten praktisch kein Drehbuch und die Schauspieler haben die Dialoge improvisiert. Wo lagen die Gefahren des Scheiterns? Dass ein Passant unvermutet durchs Bild geht?

Nö, das habe ich zuerst auch gedacht. Aber das Problem ist eher, die richtige Haltung zu bekommen: Die Herausforderung bestand darin, etwas über zwei Stunden am Stück durchzuhalten und dabei musikalisch zum Schwingen zu bringen. Der Rest ist Organisation und Technik.

Wer sind diese jungen Berliner, die um die Häuser ziehen?

Ich glaube, jung zu sein ist heute nicht leicht. Diese vier Burschen gehören zu den Unterprivilegierten: Sie haben kein Geld, sie kommen nicht einmal in einen Club hinein. Der Zugang zur Welt ist ihnen verwehrt, und so sitzen sie auf ihrem Dach und versuchen, ihrem Jungsein Würde zu geben. Ich finde, sie sind tapfer und lebensfroh.

Und Victoria, die eigentlich Pianistin werden wollte?

Victoria ist ein Mädchen aus dem Bildungsbürgertum. Sie spielt Klavier, hat immer brav geübt … wenn man so will, hat sie in ihrem Leben alles richtig gemacht. Und doch war es verschwendete Zeit: Alles richtig zu machen und immer brav zu sein, hat ihr letztlich nichts gebracht. Ich habe das Gefühl, sie braucht den Banküberfall viel mehr als jeder andere in dem Film.

Was interessiert Sie am Motiv des Banküberfalls?

Der Banküberfall steht für eine Sehnsucht nach radikaler Veränderung. Ich glaube, es ist ein Traum, dass man einfach die Waffe heraus holt und sagt: "Her damit!" Dass man nicht mehr wartet und brav und fleißig ist und hofft, dass man einmal belohnt wird, weil man alles so gut gemacht hat. Stattdessen gibt es diese Dringlichkeit: "Ich warte nicht mehr, ich will mein Leben jetzt!"

Apropos Überfall: Sie hatten ja auch eine Rolle als Kommissar im Hamburger "Tatort" neben Wotan Wilke Möhring?

Ja, aber das ist vorbei. Der "Tatort" ist für mich indiskutabel – das muss man auch mal so sagen dürfen. Natürlich gibt es Unterschiede, und ich finde den aus Wien ziemlich gut. Aber im Großen und Ganzen ist das Niveau, auf dem Dinge für Erwachsene verhandelt werden, so, als wären sie Kinder, die noch nie etwas von Migranten gehört haben. Aber ich meine, wenn einem etwas nicht passt, muss man es ändern oder gehen. Ändern habe ich versucht, bis ich zum Querulanten wurde und man mich auch so behandelte. Daher bin ich gegangen.

Könnten Sie sich vorstellen, an einer TV-Serie zu arbeiten?

Ja, darüber denke ich gerade nach – und zwar in Zusammenhang mit "Victoria". Nicht die Geschichte selbst, aber die Welt, in der sie spielt, könnte für ein Serien-Format hoch interessant sein. Jede Folge wäre ein Take, also eine Einstellung von 55 Minuten. Aber ich zögere noch, weil es so viel Arbeit macht und ich doch lieber Filme drehe.

Hier finden Sie die Filmkritik zu "Victoria"

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