KURIER: Frau Krieps, über Ingeborg Bachmann wurde bereits unendlich viel geredet und geschrieben. Wie schwierig war es für Sie, einen eigenen Zugang zu ihr zu finden?
Vicky Krieps: Mir ging es darum, den Schlüssel zu der Seele dieser Person zu finden und mich zu fragen: Was war sie für ein Mensch? Und natürlich nähert man sich Ingeborg Bachmann am besten über ihre Texte an. Ich habe schon als junges Mädchen ihre Gedichte sehr gemocht. Sie waren für mich eine Möglichkeit, der Realität zu entfliehen. Aber ich wusste nichts über ihr Leben und auch nichts über ihr tragisches Ende (siehe Infokasten).
Und haben Sie den Schlüssel zu ihr gefunden?
Ich glaube, es ist ihr Bewusstsein von Sprache. Sie hat schon sehr früh in ihrem Leben verstanden, dass jedes Wort das Versprechen der Erlösung und gleichzeitig der Zerstörung in sich trägt. Jedes Wort kann den Abgrund aufreißen, aber auch den Himmel aufsperren. Deswegen redet sie so, wie sie redet, und ihre Stimme klingt so, wie sie klingt. So habe ich das für mich verstanden. Aber es ist immer schwierig, Lebensgeschichten aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren zu spielen, weil sie schnell hölzern und schwerfällig werden. Ich habe also versucht, etwas zu finden, was Ingeborg Bachmann lebendig macht – und das war eben ihre Sprache.
Kannten Sie auch die Literatur von Max Frisch?
Ja, die kannte ich sehr gut, weil die Literatur von Frisch in Luxemburg zur Schullektüre schlechthin gehört. Insofern hatte ich das Gefühl, ich kenne ihn viel besser. Aber was sowohl ihn als auch Ingeborg Bachmann betrifft, so blieben sie beide für mich bis zum Schluss mysteriös. Das ist aber auch okay so.
Max Frisch kommt als der eifersüchtige Pascha, der er ist, nicht gerade gut weg ...
Ja, aus heutiger Sicht wirkt er fast böse, aber man muss ihn auch aus der Zeit heraus verstehen. Mein Vater und mein Großvater waren zwei fantastische Männer, aber was ihr Verhalten gegenüber Frauen anging, eigentlich indiskutabel. Sie kamen nach Hause, zogen ihre Jacken aus und fragten: „Wo ist die Suppe?“ Sie fanden das ganz normal. Auch Frisch hatte diese joviale Auffassung. Er behandelte Bachmann wie ein kleines Mädchen, um das man sich kümmern muss. Und wenn es brav war, schenkt man ihm ein Auto. Aus heutiger wirkt das ganz unmöglich.
War Ingeborg Bachmann ihrer Zeit voraus?
Sie war eine Frau von heute, die in der Zeit von damals gesteckt ist – und darunter wirklich gelitten hat. Max Frisch war kein Monster, sondern er hat einfach seine angestammte Rolle gespielt. Ich glaube, sein größter Fehler war, dass er es nicht geschafft hat, Ingeborg Bachmann wirklich zu sehen. Sie hat eine ehrliche Einladung an ihn geschickt und gesagt: "Komm, lass uns aus der normalen Gesellschaft aussteigen und die Welt neu und anders denken“ – auch, was die Beziehung zwischen Mann und Frau betrifft.
Sie sagten, Ingeborg Bachmann war ihrer Zeit voraus. Glauben Sie, sie wäre heute ein glücklicherer Mensch gewesen?
Ich habe erst kürzlich mit Volker Schlöndorff (Filmregisseur und Ex-Mann von Margarethe von Trotta, Anm.) darüber gesprochen. Wir waren uns beide einig, dass ihr in gewisser Weise nicht zu helfen war. Ich glaube, manche Menschen werden mit einer erhöhten Empfindsamkeit und einer erhöhten Verzweiflung darüber, was der Mensch ist und was er sein kann, geboren. Ingeborg Bachmanns Eltern waren Nazis; allein, dass es Nazis gab, ist Grund genug, dass man sein Leben nicht mehr lachen kann. Zudem brach sie sehr viele Tabus, lebte in wilder Ehe, hatte jüngere Liebhaber und war eine Intellektuelle. Hinzu kam eine Abhängigkeit von Tabletten, über die nicht geredet wurde. Das hatte natürlich viel mit der damaligen Gesellschaft zu tun. Hätte sie heute gelebt, hätte sie vielleicht nicht so ein tragisches Ende genommen. Margarethe von Trotta und ich haben am Set viel geweint und darüber gesprochen, was uns berührt hat. Ich glaube, das spürt man auch im Film.
Sie selbst drehen besonders viel mit Regisseurinnen, etwa Marie Kreutzer, Mia Hansen-Løve oder nun Frau von Trotta. Ist das Zufall oder schon auch bewusste Entscheidung?
Das ist auf jeden Fall eine bewusste Entscheidung. Ich bin dieses alte Modell, in dem der Regisseur den allwissenden Chef spielt, müde. Ich kann mir das erlauben, weil wir in einer anderen Zeit leben. Früher habe ich das nicht gekonnt und bin sehr wohl auch an Regisseure der alten Schule geraten, die meinten, sie könnten alles anschaffen. Heute würde ich mit so jemandem nicht mehr arbeiten. Da bin ich raus und geh’ nach Hause.
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