Vernichten Journalisten sich mit Facebook selbst?
Corinna Milborn über die Gefahren von Facebook und Co. für den Journalismus. Und was der ORF damit zu tun hat.
Das Seitenblicke-Magazin sperrt zu, das Wirtschaftsblatt ist am Ende, die Verlagsgruppe News kündigt 80-100 Mitarbeiter bis Jahresende: Es scheint, dass es mit steigendem Bedarf an gutem Journalismus in Österreich immer schwerer wird, ihn auch zu finanzieren. Und das könnte durchaus etwas damit zu tun haben, dass ihr das gerade HIER (der Text erschien zuerst auf Facebook, Anm.) lest.
Hier neben diesem Text seht ihr vermutlich Werbung. In meinem Fall wirbt hier die Wien Energie, der Web Summit und eine Firma, die Luftmatratzen in Form gigantischer Vaginas vertreibt. Das Geld für die Werbung floss allerdings nicht in die Produktion dieses Textes, sondern, vermutlich auf dem Umweg über ein Steueroase, nach Palo Alto. Das wird nun noch nicht den österreichischen Journalismus zerstören, da das hier eine schnell am Wochenende geschriebene Notiz ist. Aber: Wir posten hier auch unsere professionell produzierte, teure Arbeit, und zwar nicht privat für unsere Freunde. Im Gegenteil: Wir freuen uns, wenn möglichst viele die Arbeit sehen. Das ist aus mehreren Gründen problematisch.
1. Facebook ist längst nicht mehr nur ein soziales Netzwerk, sondern ein Medium (das österreichische Mediengesetz definiert Medium etwa so: „Jedes Mittel zur Verbreitung von Mitteilungen oder Darbietungen mit gedanklichem Inhalt in Wort, Schrift, Ton oder Bild an einen größeren Personenkreis im Wege der Massenherstellung oder der Massenverbreitung“.) Damit ist Facebook wohl der einzige direkte Konkurrent, dem andere Medienunternehmen ihre Arbeit schenken und damit die wertvollste Ressource zu Facebook verlagern: Die Zeit und Aufmerksamkeit unserer Seherinnen und Leserinnen.
2. Facebook ist zugleich anderen Medien gegenüber bevorzugt: aus unerfindlichen Gründen zahlt Facebook keine Werbeabgaben und keine Umsatzsteuer und muss sich bei der Zusammenstellung des Newsfeed nicht an Medienrecht halten – daher das enorme Problem mit Hasspostings, aber auch die Vermischung von News und Werbung.
3. Werbeetats wachsen nicht ins Unendliche. Was zu den US-Unternehmen Facebook, Google, Twitter fließt, fehlt bei unseren Einnahmen – und somit bei der Finanzierung von Journalismus in diesem Land. Das gilt auch für Bezahlmedien: je mehr journalistisch hochwertige Geschichten gratis und bequem direkt hier erhältlich sind, umso weniger wird das Publikum bereit sein, woanders für diese Arbeit zu zahlen.
Kurz: Indem wir fleißig likes und retweets sammeln, schaffen wir uns langsam ab.
Warum stellen wir dann zB trotzdem News-Videos aus der Puls 4 News-Redaktion auf Facebook und stecken auch noch extra Arbeitskraft hinein, um sie zu untertiteln? Die einfache Antwort wäre: Markenpflege und Hinweis auf unsere Sendungen. Die ehrliche aber lautet: Weil uns Facebook und der ORF keine Wahl lässt. Facebook will, dass User auf Facebook bleiben – und bevorzugt deshalb Facebook-Videos gegenüber links. Und da der ORF darauf eingestiegen ist, müssen wir nachziehen. Denn seit die ZiB-Redaktion – die dank Gebührenfinanzierung wesentlich mehr Bewegungsspielraum hat – ganze, untertitelte Nachrichten-Videos auf Facebook stellt, wird es immer unattraktiver, auf einen Link zu klicken, der auf eine News-Seite mit Vorschaltwerbung führt (wenn Facebook den Link denn überhaupt in den Newsfeed schaltet).
Paradoxerweise bevorzugt der ORF beim Verschenken gebührenfinanzierter Videos die US-Medienhäuser sogar: Würde ich auf Puls 4 Material des ORF spielen wollen, kostet das etwa 1000 Euro pro Minute. Facebook zahlt natürlich nichts dafür, dass Ihr die "ZiB100" in eurem Newsfeed habt, und spielt daneben seine eigene Facebook-Werbung aus (was wir als TV-Sender bei News-Inhalten aus guten Gründen nicht dürfen.) – und wir verwenden einen Teil unserer Ressourcen dafür, ebenfalls auf Facebook News zu machen, in unserem Stil für unsere Leute, aber ohne damit Geld zu verdienen. So führt ein nobles Ansinnen des ORF – überall zu informieren – vielleicht bald zu weniger Information, weil Aufmerksamkeit und Geld weg von österreichischen Verlagen und TV-Sendern hierher auf Facebook wandern.
Und auch wir einzelnen JournalistInnen, die keine ganzen Beiträge auf soziale Medien stellen, stärken sie durch unsere Postings und Kommentare (zum Nachteil der eigenen Unternehmen, die für Journalismus zahlen und dabei Steuern abführen – beides tut Facebook nicht.) Markus Breitenecker, Puls 4-Chef, kritisierte auf den Medientagen, das Armin Wolf seinen hochwertigen, gebührenfinanzierten Journalismus auf Twitter verschenke. Das war Provokation, klar. Aber es wirft auch ernste Fragen auf, die uns noch beschäftigen werden: Wem nützen wir mit unseren Accounts – wirklich unseren Verlagen und Sendern oder eher Twitter und Facebook? Und wem gehören die Accounts von Journalisten – den Verlagen oder ihnen privat?
Ein Blick auf die Twitter-Ranglisten Österreichs zeigt zb, wie weit vorne TV-Journalisten liegen. Das liegt nicht daran, dass in dieser Profession zufällig so extrem kluge und unterhaltsame Menschen versammelt sind, sondern an der TV-Präsenz – an der natürlich mehr Menschen beteiligt sind als der Moderator selbst: Redaktionen, Regien, Kameramenschen und Sales-Profis, die das Geld dafür bei Kunden reinholen. Wenn man nun Social-Media-Reichweite als Wert erkennt: Wie fair ist es, dass sie der Moderatorin alleine gehört? Ich persönlich habe dafür eine Lösung gefunden: Ich habe ein Art 50:50-Joint Venture über alle Social Media Kanäle mit meinem Unternehmen geschlossen. Auf den Inhalt hat das keine Auswirkungen, den bestimme ich natürlich alleine – doch es deckt (einstweilen eher symbolisch) die Beteiligung vieler anderer Menschen an meiner Reichweite ab, sowie die Tatsache, dass ich natürlich auch in der Arbeitszeit auf Facebook und Twitter poste (wer was anderes behauptet lügt. Glaube ich). Sollte Geld reinkommen – etwa wenn ich mich zu einem youtube-Kanal aufraffen sollte oder andere soziale Kanäle vermarktbar werden – dann teilen wir Arbeit und Geld 50:50: Ich mach (teils mit Redaktions-Ressourcen) den Inhalt, Puls 4 die Vermarktung, und was reinkommt wird geteilt.
Ich weiß, der Grat zwischen der notwendigen Präsenz in sozialen Medien und der Kannibalisierung des eigenen Journalismus ist schmal. Aber mir scheint, dass wir uns auf der falschen Seite davon befinden und es noch gar nicht gecheckt haben. Vordergründig haben die Einstellung des Seitenblicke Magazins und des Wirtschaftsblattes und die Kündigungswelle bei der Verlagsgruppe News völlig andere Gründe – aber vermutlich spielt der Medienwandel doch eine Rolle. Und wir sollten anfangen, nicht nur hintennach auf der Welle zu reiten, die aus Silicon Valley herüberschwappt, sondern den Wandel selbst zu steuern – und zwar so, dass am Ende mehr (europäischer) Qualitäts-Journalismus übrig bleibt, nicht weniger. Das brauchen wir für das Funktionieren unserer Demokratie und Wirtschaft. Wenn niemand mehr professionell informiert, überprüft und nachfragt, geht dieses Land nämlich schneller den Bach runter, als ihr denkt.
Dieser Gastbeitrag von Puls4-Infochefin Corinna Milborn erschien ursprünglich unter dem Titel "Wie viel unserer Arbeit und Zeit können wir Facebook schenken, ohne den Journalismus zu vernichten?" auf ihrer Facebookseite. Der Text ist hier ohne Kürzungen wiedergegeben.
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