Venedig eröffnet mit Frau, aber ohne Power

Venedig eröffnet mit Frau, aber ohne Power
Venedig-Blog, Tag 1: Festivaldirektor Alberto Barbera macht es besser als Cannes, und bringt Filme von Frauen, wie etwa Mira Nairs Eröffnungsfilm.

Mit Frauenpower eröffnete der neue, alte Direktor Alberto Barbera die 69. Filmfestspiele von Venedig. Barbera, der bereits vor zehn Jahren das Filmfestival leitete und nach einem Streit mit Berlusconi den Job hinwarf, hat offenbar von Cannes gelernt. Dort gab es heuer viel Aufruhr, nachdem im Programm keine einzige Regisseurin zu finden war. In Barberas abgeschlanktem Wettbewerb – nur 18 Filme kämpfen um den Goldenen Löwen – finden sich auch Filmemacherinnen wie etwa die Italienerin Francesca Comencini oder die jüdisch-orthodoxe Rama Bursthein. Und gleich zum Festival-Beginn lief (außer Konkurrenz) der neue Film der indischen Regie-Veteranin Mira Nair "The Reluctant Fundamentalist". Das bringt nicht nur US-Stars wie Kate Hudson und Liev Schreiber zur Eröffnung an den Lido, sondern hebt auch die Frauenquote. Wäre der Film auch noch gut, dann hätte Barbera damit eine runde Sache geliefert.

Der Film ist aber nicht gut. Bunt und zwischen den Welten changierend – das schon. Auch das Thema, basierend auf einem Thriller von Mohsin Hamid, birgt interessantes Potential: Changez (Riz Ahmed), ein junger, reicher Pakistani, geht nach Amerika und macht eine steile Karriere als Analyst und Unternehmensberater. Sogar Kate Hudson sinkt in sein Bett. Doch dann verändert der Anschlag vom 11. September 2001 auf das World Trade Center sein Leben grundlegend. Als Pakistani wird er von den Behörden schikaniert, haut schließlich seinen High-Profile-Job hin und geht zurück nach Pakistan, wo er an der Uni – was eigentlich? – unterrichtet. Er kommt mit fundamentalistischen Kräften zusammen und wird schließlich von den US-Behörden beschuldigt, an der Entführung eines Amerikaners beteiligt zu sein. Liev Schreiber spielt einen als Journalisten verkleideten US-Agenten, vor dem Changez sein Leben ausbreitet.

Hilfloser Bilderrausch

Venedig eröffnet mit Frau, aber ohne Power

In langen Rückblenden erzählt Nair vom Werdegang ihres Protagonisten, ohne ihm auch nur einmal wirklich nahe zu kommen. Stattdessen werden klischierte Standard-Situationen durchexerziert – vom Job-Gespräch mit Kiefer Sutherland bis hin zur Liebesbegegnung mit Kate Hudson. Weder das familiäre, pakistanische Umfeld, noch die Yuppie-Chefetagen in der New Yorker Firma werden je greifbar, lebendig, oder gar für das Verhalten der Figuren erklärend. Dafür hält Nair ihr Kino-Publikum offenbar für nicht besonders schlau, denn jedes Gefühl, jede emotionale Veränderung wird überdeutlich ausbuchstabiert und zumeist auch noch mit penetranter Musik unterfüttert. So bleibt Nairs Bilderrausch ein wenig hilflos zwischen Polit-Thriller und Liebesdrama stecken und als Plädoyer für mehr Menschlichkeit zwischen den Kulturen schwammig und nichtssagend.

Dabei wäre ihr das Thema tatsächlich auf den Leib geschneidert: Es war genau im September 2001 in Venedig, als Mira Nair in Venedig den Goldenen Löwen für "Monsoon Wedding" erhielt. Nur wenige Tage später erfolgte der Anschlag auf das World Trade Center.

Die ewige Baugrube am Lido

Den Festlichkeiten wird ein flauer Eröffnungsfilm am Lido aber keinen Abbruch tun. Sogar die ewige Baugrube, die vor dem Casino klafft, wurde teilweise abgedeckt und mit interessanten Plastiksitzmöbeln bestückt. Die weißen Sessel erinnerten ein wenig an Backenzähne, wie bereits rundum gescherzt wird. Aber wenigsten sieht man das Bauloch nicht mehr. Und die Hoffnungen, ein großes neues Palazzo del Cinema zu bauen, sind damit wohl endgültig begraben.

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